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Urs Jaeggi
An den Wänden der Ausstellung: El silencio del desierto, Museo de Historia de Tlalpan, Mexiko-Stadt



WELCOME MY SON

1

Kein schöner Land
Kein schöner Land
in dieser Zeit
Welcome my son.
Gegenstandslos
bei den Akten.
Eine Nummer
ein Foto
ein Name

Welcome

2

dort,
ins Weite
gehetzt, angetrieben
wie,
und weiter, weiter,
weiter,
ab –
gekämpft,
abgesackt,
im Hitzesog
entatmet, im
Kopf Zer-
malmtes.
Düne um Düne,
Blut,
pulsierend,
Mundblutblasen
dem Kinn entlang,
sonnen-
verkrustet.

Durst ist Feuer

3

Mündungsblitze (oder
sterneblinken)
brechen die Nacht.
Kein Schlupfloch,
würdeentsorgt.
Aufge-
knöpfter Hosenbund, Fleischfransen
im offenem Rücken,
Hände fusswärts
eingekrümmt,
foetal
gesichtslos.

4

Die vergewaltigte Nacht
kein Schutz,
die Umgebung ruhig wie das Auge
des Häschers
kurz bevor er, irgend-
einen im Visier:
I do what I have
to do,
und
der Andere weiss:
Kein weiter,
und weiter, weiter,
weiter. Im Ohr
die Gleichgültigkeit
der Geier, ge-
krächzte Schreie,
die Luft durchlöchert.
Echolos.

5

Kein später.
Kein einmal im Leben
tantantanz tanzen,
hungerfrei.
Kein Los Angeles,
einst helles
Wort,
jetzt, durstge-
hetzt,
Einöde, zersetztes
Ruinennest.
Kein die Verfolger
an die Wand gestellt,
ihre Häuser zer-
wüstet, die Kinder
geschändet.

Leere

Am Dünenende
geblendet den nächsten
wasserlosen Sand-
brocken kauen wie
entwürzte Enchiladas,

6

Deine Genugtuung, Grenzsoldat. Meine
Füße (ich nennŐ sie
noch so) verbrennen,
aber denk dir:
Du steckst, mein hitze-
gekochtes Hirn
in deinem Kopf,
in meinen zerfetzten
Schuhresten. Eine
Stunde nur,

Und du:
deine eifernde Jagd
versperrt meinen Schlaf-
pfad, töten
Instinkt und Angst.
Die Dornspur vom Draht pocht,
eitrige Höhle und
du denkst:
Jeder Fünfte
meine Beute,
viel zu wenig. Doch
nicht dein uner-
bitterliches Haften
an mir und meinesgleichen
bringen Tod.

7

Was uns zusammen-
wirft und trennt:
die gleich ewige Sonne
und der Tagwind
sindŐs,
die ich liebte, beide,
am öden Rand von Xochimilko,
armhüttig,
im Kühlen un-
zufrieden, nutzlos zufrieden
und entschlossen,
mut-
wärts hoffend
auf wenig mehr
für die mir Nächsten.
Wenig.

Nichts Flirrendes, Un-
mögliches, nichts ins Ohr
Geträufelte,
nicht huckepack
ins Gelobte, Unerreichbare.
Hunger wars,
schon immer,
und Notlinderndes mein Hoffen,
Menschenbedürftiges.
Aber dir, Verräter im Einklang
mit US-Gesetz und vielen: arglose
Pflicht uns Leichtjagbare
zu jagen.

8

Die wenigen Worte
die mein waren, Herkunfts-
klumpen, verloschen, eins
ums andere.
An ihrer Stelle mir
fremde Silben,
rüd gebelltes.
GO,
GO TO HELL,
MOTHER-FUCKER.
GO

9

Es tagt.
Mechanisch, in
Sandhöhe,
die verklebten
Augen tot. Wort-
schatten kon-
figurieren:
als sähe er wieder, fata-
morganaweit,
als bewegen sich seine
Füße, Zentimeter um
Zentimeter in Richtung,
als hörte er wie,
als wär von neuem
ein Gesicht,
als könnt er
die verkrallten Finger
wieder fest an die Hand heften
und Finger-
nägel Hoffnung
in die Haut ritzen.

WASSER

10

Fast atmen wieder.
Die Durstzeit weg,
als wäre Sandkorn um
Sandkorn bebaubar und
längstvergiftete Bäume
blühend.
Fernfremd und doch
leises Grummeln,
alte, maultier-
ähnliche Schreie,
keimender Mais,
Festgesänge.
Wasser, das vom Dach
sprudelnd
in die Hütte tropft.

11

Stunden weiter
gegenstandslos
eingelocht
bei den Akten
ein Name
ein Foto
eine Nummer

WELCOME, MY SON
Willkommen



Urs Jaeggi

Die andere Seite

Auswanderung – Einwanderung gehören, wenn man die Geschichte der Kontinente liest, zur condition humano. Neugierr war und ist ein Anlass, meistens aber ist die Ursache nackte Not, der pure Überlebenswille.
Legale und illegale Grenzgänge, Hoffende. Es geht, bevor die Grenze überschritten wird und nach dem Überschreiten bis zum ersten sicheren oder sich bietenden Ort, um Angst und Verzweiflung.
Solche Grenzfälle gibt es in Israel, in Afrika, und gab es in Deutschland der zwei Staaten bis 1989. Die Grenze zwischen Mexiko und der USA ist die größte, mit den meisten illegalen Einwanderer und den meisten Toten. Die amerikanische Regierung will die Grenzmauer erweitern und die Illegalen kriminalisieren, die bisherige Mauer auf die ganze Länge ausdehnen. Dabei ist die USA auf die Arbeit der legalen und der illegalen Einwanderer angewiesen. Deswegen werden sie, wenn die Grenzüberschreitung gelingt, toleriert als Billigarbeiter, ohne soziale Sicherung. Die lllegalen und die Legalen tragen mit den Geldüber-weisungen an die zurückgebliebenen Familien einen beachtlichen Betrag am jährlichen V olkseinkommen.
Einerseits volkswirtscaftlich gebraucht, fürchten sich Teile der Bevölkerung vor der Überfremdung.
Für die GrenzIn allen Fällen ist der Druck, etwas unternehmen zu müssen größer als die Angst, die Mauer–überwindung mit dem Tod zu bezahlen.

Mit el sueño del diesierto versuche ich, Präsenz und Intensität des Dargestellten Sinn zu verleihen, ohne dem Dokumentarischen und dem Narrativen zu verfallen.Mit dem an die Wand geschriebenen Gedicht, den Pressefotos und den Namen der Toten weigere ich mich indes nicht, eine Geschichte zu erzählen, aber ich möchte, wie Paul Valéry es ausdrückte, die Empfindung vermitteln, ohne daß mir die Last zufällt, sie mitteilen zu müssen.
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©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe  &  María Linares