home  

zurück


Eine Collage

Man kann Formen, Farben, die Ikonologie der Bilder zu erfassen versuchen. Hermeneutisches in Aktion. Die Werke ausloten, Detail um Detail, ihr Umfeld erhellen.

Im Buch der Unruhe schrieb Fernand Pessoa
Die Welt meiner Phantasie war immer die einzig wahre für mich.
Geht das?
Was wir machen, ist nicht das was wir sehen. Es ist das, was wir aus dem Gesehenen machen. Was uns besetzt hält.
Und warum macht man etwas so, wie man es macht?
Die Obsession, das Festhalten an Bildern, einer Vision, an Träumen gilt als überholt. Und doch: die strengen Ichs in uns lachen, schimpfen, sie erzählen sich viele Geschichten, ohne sie zu erzählen. Wir müssen sie heraufholen.
Versuchen, das was uns bedrängt, zu Nahe kommt wegzumachen, wegzuschreiben, wegzuskizzieren, wegprojektieren. (Das Machen von etwas scheinbar Überflüssigem bis zur Unerträglichkeit, die allein als erträglich übrig bleibt?
Überspitzt: Kunstmachen als etwas Totales, inszeniert von Manischen.
Das Schöne, hat Stendhal gesagt, ist ein Versprechen auf Glück. Das Schöne gibt es noch immer als Idee. Als Festhalten an etwas. Etwas das im Raum schwebt oder steht und rhythmisch verankert ist.
Das Schöne ist nicht mehr zu fassen.
Aber wann je konnte man sagen, und konnte man es je unbefangen: Hier bin ich ausserhalb der gewöhnlichen Dinge und im reinen Bereich der Kunst (Joubert)?
Ästhetische Kriterien, wir wissen oder spüren es, gibt es nur in vermuteter oder formal gesetzter Weise.
Wurde Kunst, die aus dem Überfluss zu leben scheint, aus Angst geboren? Als Schutzschild? Um etwas zu erinnern. Um etwas nicht zu verlieren, und um etwas dazu zu gewinnen?

Vor und nachher wissen wir: Kunstwerke existieren, weil wir sie so nennen. Es gibt sie, weil Experten (der innere Knäuel), sie als solche bezeichnet. Eine Allianz von Spezialisten, die das Phänomen "Kunst" nach ihren Kriterien und ihrem Gusto nicht nur einzugrenzen versuchen. Sie grenzen es ein. Der Versuch ist meist auch das Urteil. Und der international mobile Kunstmarkt siebt frisiert plaziert stockholdermässig das zu Verkaufende hoch, wenn es passt, und setzt es runter, wenn nötig. Geld macht die Welt. Alles scheint in der Flut des Marktes zu versinken: die Bienalisierung, Eventherstellerei und Musealisierung brauchen Neues, Neuartiges, auch Fremdes und Befremdliches.
Hört sich schrecklich an. Aber war es im Kern je anders, seit das, was wir Kunst nennen sich vom magisch-religiösen getrennt hat?
Wo lang denken und gehen?

Methodisch neutral begründen hilft: es ordnet auf radikale Weise, hebt Unterschiede hervor, verwischt Nuancen und hält Unbestimmbares fern. Die Radikalität sitzt hier trotzdem am falschen Platz. Ein Werk muss den Betrachter packen, aufregen, Ruhe und Unruhe auslösen.
Klar ist: Ästhetik, einst ein strenger Lehrmeister, arbeitet inzwischen mit Brüchigem. Unklar wird schon seit längerem, was alles Kunst ist.
Samuel Beckett zum Beispiel bezweifelt, dass man dem Kunstfreund notwendige Antworten geben kann. "Man sagt ihm nie: Es gibt keine Malerei. Es gibt nur Gemälde. Und da es keine Würstchen sind, sind sie weder gut noch schlecht.
Alles, was man sagen kann, ist, dass sie... ein mehr oder weniger absurdes Drängen zum Bild wiedergeben und dass sie mehr oder weniger dunklen inneren Spannungen entsprechen.
Das Spannende, weil Ausbrüche nicht zu verhindern und notwendig sind, geschieht in der Not, auf der Flucht. Wo es ums Überleben geht. Sicher aber ums Leben.
Was entsteht, sind nicht nur Gemälde. Es sind Bilder. Und Bilder umfassen heute alles: Rahmenbilder, Plastiken, Fotos, Installationen, Performances.
Und, wie wir wissen, eben so uferlos das verwendete Material. Und genau so wichtig das Einbeziehen des Raumes in ein Konzept.
Die Spannung zwischen geschaffenem Objekt und Raum. Wobei das verwendete Material wie auch der Raum heute beliebig sind: vom Edelmetall über Virtuelles bis zum Müll. Darstellende Kunst bleibt spätestens seit den Surrealisten nicht mehr notwendig im Rahmen. Michel Serre, der unkonventionelle französischen Philosoph, schreibt über die Musik, sie komme von allen Musen her, sei die Summe aller Künste: Keine Kunst könne erfolgreich sein, wenn sie keine Musik hat. Sagt: die Poesie geht zu Fuss oder schlimmer: auf Knien, ohne Musik. Die Architektur ist ohne Musik nur ein Steinhaufen, die Statue nur Material, die Prosa bloss Lärm, und die Redekunst fällt zurück in Unsinn und Langeweile."
Richtig daran: die Sparten überlappen sich. Und Rhythmus und Raumgefühl fallen
zusammen. Aber nichts ist die Summe. Man könnte sagen: das Poetische, und auch das wäre es nicht, oder ebenfalls nur annähernd. Wenn Serre im Ausgrenzen von blossem Lärm spricht, tilgt er Geräusche, die in der Musik, wie der Müll in der darstellenden Kunst, zum modernen Musikwerk fraglos dazugehören.
Das Restästhetische ist in allen Sparten gleich durchlässig und fragil. Und, obwohl auch das nicht neu, nur offensichtlicher: in vielen Kunstwerken brechen sich heute
auseinanderstrebende oder sich aufsaugende Kulturen, die sich bekämpfen, befruchten, ablehnen oder verschmelzen.
Die Wunde bleibt, um einen letzten Punkt einzuführen, auch dort, wo Kunst und Wissenschaft miteinander zu kooperieren versuchen. Meist frisst das eine das andere.
Und hier stoppe ich.

Zum Fenster hinausschauen. "Legen Sie die Sanduhr ans Ohr, und hören Sie die Zeit" (Guiseppe Chiari). Wer eindeutige Erklärungen einsetzt, ist aus dem Spiel. Das Zentrum meiden. Sich an den Rändern herumtreiben.
Experimentieren, den Obsessionen folgen. Sich aussetzen. Das Spiel zwischen Leben und Tod. Hautnah, hauttief. Hier, über die Hintertreppe, erscheint die conditio humano: die Angst, das Schreckliche, das Grausame der Modernität, aber auch das Frivole, Schockierende, das Exzentrische und Berührende.
Das Inhumane und das Menschenwürdige treiben zunehmend Kunstmachende und Kunstbeurteilende herum, in einer krisen- und kriegs-durchschüttelten Welt zwangsläufig. Töne als Farben, Farben als Töne, Wörter als Bild, Lärm und Stille, Hypermobiles und Erratisches. Glatt geht das nicht. Die Machenden haben mit Enttäuschungen zu leben.Auch das Publikum. Nur vor der Frage, warum Kunst in einer Welt, in der Millionen ums Überleben kämpfen, und Millionen diesen Kampf verlieren, gibt es kein Ausweichen.

Ich murmle: es ist seltsam, wie sich mitten in der Hölle etwas dagegenstemmt. Ein Wunder. Wie die Liebe. Wie ein fou rire. Vielleicht eine Erfahrung, die uns vor dem Aufgeben und dem Selbstmord schützt. Ein wenig Hoffnung gibt. Das wäre viel.

Er hüpft auf einem Fuß über den rissigen Betonboden hinaus auf die Strasse. Ein längs hingelegter Hund, als gehöre er sich selbst. Ein einbeiniger Tisch, mitten auf der Strasse auf einen neuen Eigentümer wartend. Zwei Hände als Verkehrspolizist, der Mund eine Pfeife. Vorübergehenden Passanten wachsen neue Ohren, ihre Münder reden laut mit Unsichtbaren. Laptops fahren Strassenbahn.


Worte Laute Stille Chaos Leere Bilder

Urs Jaeggi

zurück zu

zurücktexte

zurück

©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe  &  María Linares