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ÜBER KUNST REDEN

Vortrag beim XXI. Internationalen Kunstgeschichts-Kolloquium des Instituto de Investigaciones Estéticas, UNAM
25. - 30. September 1997 in Oaxaca, Mexiko


Auf der X. Documenta in Kassel sind in der Innenstadt alle Schaufenster zur Strasse hin seitlich aufgeklappt, und auf ihnen steht, in schwarzer Farbe, das Wort »Warum«. Ich wache auf.
»Wenn das Ende naht«, schrieb Cartaphilus, »bleiben von der Erinnerung keine Bilder mehr; was alleine bleibt, sind Worte«. Entstellte und verstümmelte Worte, Worte anderer als das klägliche Almosen, das ihm die Stunden und die Jahrhundert hinterliessen, kommentiert Jorge Luis Borges.


Den Hügelzeilen entlang

Die Kunst, wird gesagt, ist gegenwärtig eine unkalkulierbare Verausgabung im Widerstreit mit einem vom Kalkül beherrschten Dasein. Sie rechnet sich schlecht und ist schlecht berechenbar.
Nichts Neues. Auffällig, wie das, was hochfahrend discours genannt wird, zäh, abgehoben und selbstversponnen geführt wird, als ob es, obwohl nicht allzuviel auf dem Spiel steht, um alles ginge. Die Verwicklungen, Verhüllungen und Bodenlosigkeiten in der Kunst sind unübersehbar. Es genügt nicht, eine Decke wegzuziehen, um das Wahre, Nackte an ihr zu enthüllen. Sie ist, was nicht gegen sie spricht, bodenlos. Als Genussmittel überflüssig, in den Händen und Köpfen von viel zu vielen verkommen, taucht sie handkehrum als etwas Hochkomplexes auf, das alle Möglichkeiten der Erkenntnis öffnet. Unermüdlich wird so über etwas verhandelt, das die Plappernden, wie sie behaupten, am liebsten entweder der Stille und dem Verschwinden übergeben oder voll in die Gesellschaft einbetten würden.

Der Dichter sagt es präzise. »Ich habe nichts zu tun, das heisst nichts im besonderen«, schreibt Samuel Beckett. »Da ich nicht weiss, wie sprechen, da ich nicht sprechen will, muss ich sprechen. Niemand zwingt mich dazu, es gibt niemanden, das ist ein zufälliger Umstand, das ist eine Tatsache. Nichts wird mich je davon lossprechen, es gibt nichts, nichts ist zu entdecken, nichts was geringer macht, was zu sagen bleibt; ich habe das Meer zum Austrinken, es gibt also ein Meer.« Malarmé sprach davon, dass er über diesen Punkt der Abwesenheit und des Unverrmögens hinauskommen möchte, über dieses Auf-der-Stelle-Treten, das ihn zum Krüppel macht, allem und allen unterlegen . Versteht ihr diesen Hohlraum, dieses inständige und dauerhafte Nichts... Ich kann weder vor noch zurück. Ich bin fixiert, festgebannt um einen Punkt.

Die Dichter sagen es für die Künstler, die nichts sagen oder es anders sagen müssen. Die Dichter sagen es defensiv, verschreckt.

Es geht um nichts und um alles. Es scheint alles beliebig und nichts ist beliebig. Wie Midias Hände alles in Gold verwandelt haben sollen, so verwandeln Künstler heute alles in Kunst. Der Friseurladen um die Ecke zeigt ihre Produkte genau so wie die Wände der U-Bahnstationen, die Kneipen sind voll von Allerlei, auch die Galerien. Einerseits. Anderseits herrscht puristische Strenge, Hermetisches, Unentzifferbares.
Alles geht, auf der einen Seite.
Auf der andern Seite wird auf dem Kunstmarkt alles gesiebt, eingeteilt, stockholder mässig hochfrisiert.

Alle stehen da, gucken und warten.
Bestürzung darüber, dass weder das Woher noch das Wie und auch nicht das Wer gewiss ist.
Es ist wie es ist, wagt keiner zu sagen. Vorerst wird gesagt: es ist. Die Farbe leuchtet auf und will leuchten, der Ton klingt und will klingen. Das Wort sagt. Alles noch offen und daher die Unruhe, im guten Fall das Fiebrige. Wenn es gelänge, das Schwebende so festzuhalten wie es schwebt, bräuchte es kein Erklärungen darüber, warum es so ist.

C'est par l'humidité que les âmes viennent à la vie

Wir haben die Natur schon genug verschandelt, jetzt ist es an der Zeit, uns einzubuddeln. Manhattan wegrasiert, alles unter der Erde. Flaches Land. Wüste. Es wäre möglich, dass die Indianer zurückfänden. Wir holen uns den Mars. Ein anderer, der das, was er denkt, schon geschrieben hat: Dastehend ruht das Bauwerk auf dem Felsgrund. Dies Aufruhen des Werkes holt aus dem Fels das Dunkle seines ungefügten und doch zu nichts gedrängten Tragens heraus. Dastehend hält das Bauwerk dem über es wegrasenden Sturm stand und zeigt so erst den Sturm selbst in seiner Gewalt. Das sichere Ragen macht den unsichtbaren Raum der Luft sichtbar.

Bodenständiges. Bodenhaftung.

Lichter flammen in den Wolken auf, mit hartem Krachen entläd sich ein Gewitter. Gezackte Blitze . Das Theater, wenn es eines ist, versöhnt auf bedrohliche Weise das Wunderbare mit dem Werden und das Werden mit dem Vergehen.


Szenenwechsel (I)

Dass Kunst sich im Dreieck »Werk, Wahrheit und Sein« bewegt und das Wesen der Kunst als das »Sich-ins Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden« (Heidegger) bestimmbar bleibt, ist, obwohl immer wieder übernommen, längst auch fragwürdig. Zwar wird 'Wahrheit' bei Heidegger als die Art von Irrtum bezeichnet, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte. Die Kunst der Moderne, sagt Beat Wyss, äussert sich nach der Art des Kretinischen Paradoxes, da sie wahrhaftig sagt: »Ich lüge«. Wahr-Lügen: Wahrheit als Echo der Unwahrheit. Moderne Zeichen sollen aussehen wie am Tag, als sie von Gott gesät wurden, als hörten die zivilisatorischen Kratzgeräusche, die das Reden und Bilden zu begleiten pflegen, plötzlich auf. Die Moderne denkt etymologisch, in Richtung Anfang und noch weiter nach hinten. Die allem Leben vorhergegangenen geologischen Vorgänge sind im Extrem in gar keinem Bewusstsein dagewesen: nicht im eigenen, weil sie keines haben, nicht im fremden, weil keines da war. Also hatten sie aus Mangel an Subjekt gar kein objektives Dasein, d.h. sie waren überhaupt nicht. Und scheinen doch gegeben als eine Art Bildersprache, die wir nicht gänzlich ablegen, aber auch nicht begründen können. Die Stunde des Vorbewussten und der Zeichen.


Szenenwechsel (II)

Wir wissen nicht, was wir meinen, wenn wir das Wort »Sinn« gebrauchen. Wir meinen es.
Der Verdacht, das Gemachte sei sinnlos oder nur als originärer, konstruierter Schöpfungsakt gerade noch denkbar, geht davon aus, dass nichts sein muss, was ist. Der Mangel an Notwendigkeit setzt Möglichkeiten frei, aber ersetzt nicht die Notwendigkeit. Nichts Neues.
Hegels Verdikt - Kunst als etwas für uns Vergangenes - griff weit voraus und zeigte das Dilemma. Hegel liebte und verehrte die besten Werke seiner Zeitgenossen und doch können diese, so seine Folgerung, keine absolute Geltung mehr beanspruchen. Nicht sie werden die Befreiung antreiben, ihr Ort wird das Museum sein , und dort das ästhetische Vergnügen. So geschah es, aber es blieb nicht dabei. Es gab im Rahmen der Musealisierung, Bienalisierung und Dokumentarisierung wichtige Ausbruchsversuche. Malraux' Musée Imaginaire, das früh eine ästhetisch politische Erweiterung des Konzeptes des Kunstschönen inszenierte, verliess Europa und stiess in wenig bekannte Fernen vor, immer unter der Devise : Kunst muss radikal souverän werden, muss radikal frei sein.

Wie?

Unbestritten und unbestreitbar, dass die »unkalkulierbare Verausgabung« im Betrieb heute Kalkül ist. Der Markt, die Preise, das Einschaukeln bestimmter Werke, der politische Verrat. Peter Weibel , einer der wenigen, die das Problem radikal angehen, stellt die Frage nach der Wahrheit im Kunstwerk als Machtfrage im Sinne Foucaults. In seinem Plädoyer für eine »Psychotisierung der Wahrnehmung« nimmt er an, dass Institutionen immer Gewalt bedeuten, auch in der Kunst. Diese hat selbst nicht die Macht aus sich heraus etwas zu ändern, ausser sich selbst und bleibt dabei selber immer ein Instrument der Macht.
Man suchte das Ewige in der Kunst, um die Illusionen des Bürgertums auf ewig zu verlängern oder man missbrauchte sie zur Stabilisierung von Diktaturen. Weibel spitzt zu: Kultur erzeugt den Krieg. Es habe bei Adorno »kein Gedicht nach Ausschwitz« geheissen und es hätte »keine Gedichte vor Ausschwitz«" heissen müssen. Dass die deutsche Kulturnation solche Verbrechen begangen habe, sei kein Wunder, sondern Teil einer zwangsläufigen Logik. Nur Kultur erzeuge solche Verbrechen.
Kunst war, folgt man dieser Linie, immer Anti-Aufklärung und es war eine vollkommene Illusion, in der Kunst ein Instrument zur Kritik zu sehen. Das Dinghafte des Kunstwerkes - ihr Wesen - bleibt auch als metaphysische Verkleidung immer bürgerliches Besitzdenken. Zwar lässt sich in der Jetztzeit mit zunehmender Verarmung des Staates und der Ausdünnung der betreuten Kultur der Begriff »bürgerlich« streichen, nicht aber der Begriff »kaptitalistisch«: Sponsoren und Investoren sind die Markthalter der Tafelbilder und Skulpturen.
Das bewegte Bild dagegen, so Peter Weibel, widerspricht nicht nur radikal der Ästhetik des Tafelbildes, sondern auch den Voraussetzungen der bürgerliche Gesellschaft; es ist »Antikunst«, woraus auch seine Kraft kommt. Keine Tafelbilder, keine »ewigen« Figuren: Aktionen, Demonstrationen und Ephemeres. Gesellschaftlich-politischer Auf-ruhr. Aber weder die Kunst noch die »Anti-Kunst« konnte die ihr aufgebürdete Last, die Aufklärung weiterzuführen, tragen oder auch nur ertragen. Die geforderte Kritik war nicht zu leisten. Beide, Kunst und Antikunst, blieben im suggestiven Diskurs der Macht hängen. So war in den sechziger und siebziger Jahren von anfang an vieles Anti-Kunst, was sofort in die Kunst integriert wurde und vieles war einfach Kunst geblieben . »Ich habe ein gutes Verhältnis zur Kunst wie auch zur Antikunst,« sagte Beuys.

Wie also das klassiche Tripel - »Werk - Wahrheit und Sein« - ändern? Die Tendenzen der Dematerialisierung, so die Annahme, ersetzen den Werkbegriff durch das Konzept. Die »Unverborgenheit des Seins« ist sozial produziert; »Wahrheit« hängt deshalb mit den Machttechniken, die sie ermöglichen und legitimieren, zusammen.
Die Dezentrierung durch bewegte Bilder hat, als Fortschritt, die natürlichen Wahrnehmugsformen destruiert. Die inhaltlichen Methoden, die man an den Kunsthochschulen lernt, geraten in den Medien zu Spezialeffekten. Nicht ohne Hintersinn wird gesagt, dass man mit den Maschinen schon fast jahrelang schlafen müsse, damit man versteht, wie man aus diesem neuen Raumgefühl heraus, das antigravitationell ist, Bilder machen kann. Unvorstellbar viele Bilder, die nirgendswo fotografierbar oder in dieser Komöexität je herstellbar waren.
Die Annahme ist: Wenn ich erfahre, wie die Maschine mir als Künstler dabei helfen würde, neue Bildformen herzustellen, die mir unverständlich sind und deren Schönheit noch deren Aussage mir etwas bedeuten, dann bin ich auf einem neuen Terrain , aber gleichzeitig in der Klemme. Gesucht ist der industrielle Look und dazu zumindest eine Spur persönlicher Vision. Gegebenenfalls muss man deshalb nicht allein aus dem Bild aussteigen, sondern auch aus der Kunst.
Ob aber die medial erzeugbare Entrealisierung , also die Möglichkeit, die räumlichen und zeitlichen Dimensionen vollkommen variabel und austauschbar zu machen und mit einer Bildflut zu überschwemmen, wünschenswert ist? Ob angesichts der gesellschaftlich bereits vorhandenen Psychiotisierung die gezielte Psychiotisierung der von der Bilderflut überforderten tatsächlich eine Befreiung bedeutet?
Es gelinge, so wird gesagt, die Aufhebung der Umarmung der Kunst durch Staat und Kapital; die Autonomie des Diskurses werde zurückgewonnen . Aber um welchen Preis? Eine Steigerung der Reize, die gezielt auf Verstörung der Sinne setzt, verstärkt den ohnehin gegebenen Verlust der Wahrnehmung , gilt aber als Preis für die wiedergewonnene Freiheit. Der Preis wäre jedoch auch dann zu hoch, wenn damit der Aufstand gegen jene Mächte gelänge, die im Namen der Vernunft verantwortlich sind für Kolonialisierung, Weltkriege, Atombomben und Umweltszerstörung. Der politische Schub, dem die Psychiotisierung auf die Beine helfen soll, bleibt allerdings erstaunlicherweise undiskutiert. Natürlich, sagt Peter Weibel, ist es das Schlimmste, im Gefängnis zu sitzen und der Fernsehapparat täuscht vor, man lebe eigentlich im Freien. Nur lebten die Japaner, die er als Beispiel nimmt, eben weil so viele Leute ein zu kleines Gebiet teilen müssen, ohnehin in einer Art Gefängnis. Und natürlich würden die Menschen zwar einen bestimmten Realitätsverlust erfahren; ihr Ich wäre verloren und eine fragwürdige Gruppenidentität hergestellt; dieser Verlust allerdings, so Peter Weibel, sei nur ein altmodischer Ausdruck dafür, dass wir etwas Neues gewinnen.

Realitäts- und Ichverlust als Bedingung für unbekannt Neues? Die Begründung liest sich wie die Begründung eines Zoodirektors zur Entschuldigung von überbelegungen und Kleinstkäfigen. Erstes Ziel, scheint es, ist ohnehin das Ende der stets korrumpierbaren Kunst. Beim fälligen Konkurs der Kunst schwindet ihr Machtpotential, und natürlich lässt sich der »Ausstieg aus der Kunst als höchste Form der Kunst« als möglich finales, ästhetisch glänzend zelebiertes Endspiel geniessen. Nicht »Alles geht« - sonden »Rien ne va plus!«

Kunst-Ende vielleicht, aber dadurch keine wiedergewonnenen Freiheitsräume. Im Gegenteil. Die neuen Medien erlauben nicht bloss eine grenzenlose Informationsmasse, sie erlauben auch eine politisch-ökonomische Steuerung, die den französischen Philosophen Lyotard annehmen lässt, dass mit dieser Hilfe der Kapitalismus aus der Krise herauskommen werde.

Wilde Spekulationen, aber absehbar die Umsetzung.


Szenenwechsel (III)

Dagegen gesetzt die naive These: Körper, Material, Räume sind durch immaterielle Zeichen vertretbar, ersetzbar, aber nicht verdrängbar, schon gar nicht in der Kunst. Diese wird in unterschiedlichster Form spärliche Glanzlichter und locker vorsichherproduzierte Inhalte produzieren, solange es Menschen gibt. Die Kunst verfolgt uns auf Schritt und Tritt, überflutet uns, ärgert uns, und plötzlich schlägt sie Wunden oder bereitet uns ein Fest. Unberechenbar bodenlos.
Während das Denken den Bedingungen seiner technischen Ausdrucksmöglichkeiten folgt, so folgt die Kunst nur bedingt und oft nur scheinbar. Unsere fünf Sinne lassen eine radikale, endgültige Entrealisierung nicht zu. Alle möglichen Materialien (Leinwand, Farbe, Textilien, und Musik, Poesie lassen sich hineinmischen und wenn, positiv, von künstlerischen Arbeiten etwas herausragt, dann ist es das Poetische.

Das absolute Ende des Konkreten ist der Tod, und merkwürdigerweise trifft hier das Allgemeinste das älteste.
» ..Woher kommen die Statuen?«, fragt Michel Serres. »Aus dem Tod. Aus dem Grab. Aus dem Bestattungsritual. Aus der Leiche. Aus dem Aas. Aus der Verwesung. Aus dem, was in keiner Sprache einen Namen hat. Aus jenem Loch, jener Fehlstelle, jener Abwesenheit der Sprache, aus jener Kastration, aus der das Objekt im allgemeinen hervorgeht...«
Und woher gelangen die Statuen zu uns? »Sie kommen nicht, sie kommen zurück. Götter, Helden oder Menschen, ob gross oder falsch, entstehen zu neuem Leben, suchen uns heim, wie die Gespenster, die revenants, die Zurückkommenden..."
Aber woher kommen die Statuen? Aus dem Tod und ihm nach.. Das Da-sein, bezeichnet durch einen aufgerichteten Stein, einen Felsblock auf dem Grab, einen Meteor.

Der Skandal der virtuellen Welt ist die Immaterialität, die Zumutung einer körperlosen Existenz.

Die Produktivkräfte sind Destruktivkräfte... Je mehr Macht, desto mehr Ohnmacht, je mehr Wissen, desto mehr Nichtwissen. Alle weiterhin proklamierten Richtungen aufs Universelle, Generelle, Allgemeine, Ganze, Totale hin geraten unter höchsten Verdacht, Vorwände zu sein für die heimlich-unheimliche Ausdehnung des Monströsen, der Angst. Körperdenken als Denken im Bodenlosen, wie Lachen und Weinen, wie Essen und Trinken, wie Gehen, wie Rausch... Körperdenken ist bildlos, bleibt zerstückelter Körper (Kamper). Dennoch und gerade deswegen: so nahe wie möglich ans Unmögliche herantasten und heranfühlen und Körper bleiben. Wenn ich tanze, agiert das Zerstückelte, Verkrüppelte, aber es ist mein Körper und es sind die Körper anderer.
Man kann sich eine Gesellschaft, die den Körper verleugnet, schwer vorstellen; trotzdem treiben wir, meint gerade auf eine solche Gesellschaft zu (Virilio) . Wenn dabei der menschliche Körper in beiderlei Gestalt, als Körper der Anderen und als eigener Körper , mit Erfolg geleugnet, verleugnet und damit entfernt, liquidiert und aufgelöst wird, dann ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Orientierung in der Welt ausser Kraft: die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Wahn. Körperlosigkeit bedeutet die Ununterscheidbarkeit zwischen dem, was es gibt, und dem, was die Menschen sich ausdenken.
»Du bist nicht ich, da du mich siehst und ich mich nicht sehe. Was mir fehlt, ist jenes ich, das du siehst. Und was dir fehlt, bist du, den ich sehe« (Paul Valéry). Der Körper als Labyrinth der Sensibilität und der Reflexion: Die moderne Kunst hat dies wahrgenommen, um es jetzt preiszugeben an das Virtuelle.

Ist Körperhaftung, in welcher Form auch immer, das Vergangene?

»Ich habe mehr gelernt, sagt Michel Serres, als ich mit meinem Vater den Boden bestellte an den Ufern der Garonne, oder auf einem Boot; ich habe mehr gelernt in Pinara, unter der Felswand mit den fünfhundert Gräbern, und im Theater von Epidauros, allein beim Flug über den Yukon und den Mackenzie oder in einem schweren Sturm südlich von Kreta, zwischen Notrufen, auf der Klippe des Vogelmenschen auf der Osterinsel, vor mir der Pazifik und hinter mir der Vulkan, ich habe mehr gelernt, als ich in der Sonne über die Wiesen der Auvergne wanderte oder durch die brasilianischen Urwälder, auf meinen durstigen Weltreisen, mehr als in irgendeinem Buch, das ich jemals gelesen habe.«

Kein Wille: keine Vorstellung, keine Welt, sagte Arthur Schopenhauer. »Vor uns bleibt allerdings nur das Nichts. Aber das, was sich gegen dieses Zerfliessen ins Nichts sträubt, unsere Natur, ist eben nur der Wille zum Leben, der wir selbst sind, wie er unsere Welt ist. Dass wir so sehr das Nichts verabscheuen, ist nichts weiter, als ein anderer Ausdruck davon, dass wir so sehr das Leben wollen, und nichts sind, als dieser Wille, und nichts kennen, als eben ihn...« Wenn es zutrifft, dass die Entfernung der Körper historisch irreversibel ist, dann ist es ebenso zutreffend, dass man durch die Bilder hindurch in ein jenseits von Bildern gelangen kann, das bilderlos ist: der exzellente Ort des Unheimlichen. Das Klare, Funktionale, Geometrische und das Organische, Dunkle, Labyrintische.


Die andere Seite

Der Wille will, er unterwirft sich nicht. Das macht mehr möglich als wirklich ist. Die von Peter Weibel zu recht gestellte Frage nach dem Ort des Politischen in der Kunst hat sich, verschärft oder an den Rand gedrängt, immer wieder und immer wieder neu artikuliert. Wir vergessen unsere blutigen Wurzeln, der Stachel bleibt. Geistesgeschichtlich symptomatisch die Bekehrung des Intellektuellen von der Ästhetik der politischen Aktion zur radikalen Hermeneutik der Kunst. »Die ästhetische Erfahrung wird damit zum Kirchenasyl enttäuschter Revolutionäre im Geist« (Beat Wyss).
Oder doch, mehr oder weniger vorsichtig, noch immer Engagement? Oder zumindest deutliches Aufgreifen gesellschaftlicher Konflikte?
Walter Benjamins Eingedenken als der Strohhalm... Die Katastrophe als das Kontinuum der Geschichte?

Die mexikanische Künstlerin Helen Escobedo stellte jüngst in Hamburg auf einer Parkanlage, auf der von den Nazis Juden für die Deportation zusammengetrieben wurden, Flüchtlinge auf, Frauen auf der Flucht, aus Grashaufen gemacht auf Gestellen, wie sie die Bauern in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz zum Tocknen ihres Heues verwenden. Es entstanden schwere Frauen, leichte, müde, fröhliche, gebeugte, stolze - Kunstschüler haben sie gebaut. Ein eindrucksvoller Zug.
Warum aber, wenn das Bild mich fesselte, schreckte ich im ersten Moment zurück? Ertragen wir Figürliches, auch an der Abstraktionsgrenze, immer weniger? Ertragen wir in einer Kunstaktion die fast unverstellte politische Aussage nur schwer? Die Faszination ist da und trotzdem holpert der ästhetische Diskurs (oder fällt, wie bei Helen Escobedo, zunächst aus).

Kunst kann zweifellos öffentliche Aufmerksamkeit und sogar so etwas wie Einfluss gewinnen, Erinnerung retten, aber ihr eigentliches Kapital ist das Sichabsperren, die Verweigerung, der Aufstand, und das gerade nicht nur als persönliche Leistung des Künstlers. Das Machen, die Entwürfe , das Experiment sind wichtiger als das Fertige. Der ernsthafte Maler z.B. weiss , dass die Malerei, auch seine Malerei unmöglich, nicht realisierbar, unwirklich ist und er weiss, dass er das sucht, was sich entzieht. Er jagt der Nichtmalerei nach wie die Schriftsteller und Dichter der Nichtliteratur. Das Entworfene stösst in den radikalsten Ansätzen nicht auf Verständnis und ist auch gar nicht auf Verständnis gerichtet. Es ist in erster Linie nicht einmal ein Sich-dem-Markt-Entziehen; es ist ein radikaleres Entziehen, eine Zersplitterung, ein Auflösen, Verschwinden. Verloren gehen nicht nur die durch Regeln und Konventionen gesetzten Sicherheiten, aufgebraucht scheinen nicht bloss direkte politische oder humanistische Eingriffe; es gibt das Irrige, das Draussen, das Halbfertige, Abgebrochene und Entschwindende.


Szenenwechsel (IV)

Was die moderne Kunst ermöglicht hat, sagt T.W. Adorno, ist der Niedergang der Metaphysik.
Was würde an die Stelle treten, wenn der Niedergang der modernen Kunst - oft genug herbeigeschrieben - abgelöst würde durch eine zunehmende Totalverweigerung, wie sie sich im Minimalart oder sprachlich bei Samuel Beckett zeigt.
Denkt man nicht unentwegt in Kategorien eines permanenten Wandels als Höherentwicklung oder zunehmender Komplexität, dann ist ein Wiederaufblühen der Metaphyik oder ein Hinübergleiten in einen sowohl metaphysik- als auch kunstlosen Raum denkbar

- aber wie?

»Die Geschichte der Abstraktion ist, grob formuliert, die Geschichte des Nihilismus« (Dietmar Kamper). Analysen lösen die Gegenstände auf. Der Traum, das Handeln, das Leid, der Schmerz werden enden im Imaginären, im besten Fall mit der Hoffnung, dass das Reale neu entsteht, neu geträumt, neu gemacht, neu erlitten werden kann. So die Annahme. Wo ist Vollkommenheit und Kultur im Weltraum? fragte Malewitsch. Es ist überaus schwer, antwortete er, ich möchte sagen unmöglich, zu entscheiden, was vollkommener ist, das Wasser oder der Dampf. Beide Erregungszustände haben in ihrem Wert eine gegenständliche nicht nachweisbare Gleichheit. Diese Gleichheit ist tatsächlich ungegenständlich und mit keiner Waage, keinem Messgerät zu bestimmen. Somit gibt es von diesem Gesichtspunkt aus weder das, was man Kultur, noch das, was man Vollkommenheit nennt, es gibt nur unbestimmbare Erregungen von Gleichheit.
»Die Haut der Dinge sprengen« , sagt Henri Michaux. Zeigen, wie Dinge zu Dingen und Welt zur Welt wird. Ernüchterung. Keine Erlösungsvorstellungen, kein Aufklärungsschub, nur ein Erwachen und in guten Momenten »das Spüren jener Leichtigkeit, mit der Sisyphus' Fels auf der Bergspitze einen Augenblick zu tanzen scheint« (Beat Wyss).

Unter den Sternen eines anderen Himmels

Zeit zu

In der dem Schachbrett entgegengesetzten Richtung

Anwesend bei irgendeinem Spiel

(Im Westen) warf das Meer einen konzentrischen Wirbel

Atemzüge in Rauch


Szenenwechsel (V)

Sprachlose Sprache, tonlose Musik: erstaunlich, wie plauderfreudig viele von denen sind, die im Verschwinden, im Stoppen und Abbrechen das Ende der Kunst beschwören. In Kaskaden von Deutungen wird das Nichts dem Etwas gegenübegestellt. So einfach?
Das Erhabene wird zerstückelt und siehe da: die Zerkleinerung macht nicht kleiner und die Zerstückelung zerschlägt nicht. Die Reste sammeln sich, auch in den schwarzen Bildern Ad Reinhardts , die nicht zu sammeln brauchen, weil sie von vornherein eine faszinierende Konzentrationsbewegung auslösen.

Bilder können Schlafwandler sein, die man nicht zum aufwachen bringen darf.

Bilder können Explosionen sein.

Bilder können, bewegt, mit geringsten Gesten Ahnung des Schweigens sein.

Auf dem Circular Quai in Sidney sitzt ein Mann auf einer grauen Kiste, sein Gesicht, seine Hände grau gefärbt, Grau in Grau, die Flasche, die er in der Hand hält grau, während er zu minimalistischen Tönen winzigste Haltungsveränderungen vornimmt.

Eine Malerin (Irene Hoppenberg) lässt in einem gelbgestrichenen Raum von der Decke eine nackte Glühlampe schwingen.

Die beiden witzigen, klugen und aufrregend Verkleideten »Eva + Adele«, die in einer Nonstop-Performance als »world communicativ global plastic« auftreten : »Where ever we are is museum«. Das überschreiten der Bildfläche und des Kunstbetriebes, und doch dort und in der Zukunft »beheimatet«.

Der Inder N.N. Rimzom stellt im "Jungfräulichen Topf" auf den mutterbauchförmigen Halbtopf einen auf der Kippe stehenden hausförmigen Betonklotz.

- Versuche, das fragile Einpendeln zwischen »Noch-nicht« und »Nicht mehr« festzuhalten. Wie man die Leere findet. Was sie, wenn man an ihren Rand gelangt, auslöst. Oder die fürs menschliche Ohr totale Stille. Oder das weisse Rauschen (white noise), die Angst und Terror auslösen -

- hineingezogen, ohne Ausbruchsmöglichkeit, wie sie die übliche Darstellung anbietet. Einen Schritt zurückzutreten können. Ein Überfall der Reflexion auf unsere Sinne. Ein Überfall der Dinge auf unsere Reflexion.
Bilder ohne Eigenschaften, in denen sich der Künstler nicht wiedererkennen will, die ausserhalb seiner Person sind und ihm trotzdem nahestehen, ständig auf dem Sprung, in der unpersönliche Menge der Verhältnisse bedeutsames, real oder virtuell darzustellen. Reiner Raum, Raum ohne Geschehen -

- Werke, die erzählen, befehlen, zitieren, definieren, aufwühlen, Ornamente sind (wobei die sprachliche Benennung immer zu viel vorgibt).

Zenon zeigt, dass der Pfeil nicht fliegen kann. Der fliegende Pfeil, kommentiert Jean-Francois Lyotard, ist theoretischer Terror, weil man eine Einheit sucht, die abläuft wie ein Film. Möglicherweise kommen tatsächlich der Hinkende, dem jeder Schritt ein Problem ist, der Fliegende und der Tanzende, die jede Bewegung im Raum finden müssen der Intensität in der Schwebe am nächsten.


Violence and Difference

Der discours, der in der Nacht endet, dessen Klarheit eben darin sich vollendet, dass er in die Nacht tritt (die Nacht, - das ist das endgültige Schweigen, ein discours der den Gedanken an die Grenze des Gedankens führt, dorthin, wo er das Opfer oder den Tod des Gedankens fordert) George Bataille. Es geht ums überleben

(Im Osten) entstand ein grosser Sandwirbel, dessen Weiss den Horizont verschloss

Die Rücken gegeneinander

Die ganze Breite der Nacht

Es waren keine eigentlichen Farben

Das Theater lässt nicht los, und sei es das Leben -

Hegel sagte, dass den Menschen Hören und Sagen vegehen werde, wenn sie weiterhin am Gang der Dinge partizipieren wollten. Eine frühe Einsicht. Nur: was ist der Gang der Dinge und wer ihr Demiurg?

- Wie soll einer vom Vorletzten und Letzten berichten können, wenn er ihm nicht ausgesetzt war?

Es ist Hochmut, solche Voraussetzungen vorzugeben, aber es steckt auch Verunsicherung und Kränkung dahinter... Der Maler, der Bilder malt, obwohl er weiss, dass es Bilder eigentlich nicht mehr geben kann (geben darf), erlebt den Absturz, das Scheitern oder stösst Neues heraus -

Der Kommentierende kann unter Umständen die Auswirkungen der Katastrophe übersteigern, deutlicher machen und das nicht folgenlos und deswegen vielleicht ein Grund, weshalb inzwischen immer wieder Kommentare als das Werk selber ausgegeben werden. Jede Form der Entschlüsselung und Symbolisierung ist zwar ein Hinterherhinken, ein Verzicht auf die Tollkühnheit (Blumenberg); es kann aber auch anders sein. »Man sagte dem Wolf so oft, er habe nichts vom Lamm, dass er sich zuletzt entschloss, das Lamm aufzufressen, um alles vom Lamm zu haben« (türkisches Sprichwort). Dass der ästhetische Diskurs zwischen Künstler und Kunstinterpreten sich immer mehr auch überlappt, ist kein Zufall. Bild und Wort, sowohl übersprudelnd beliebig als auch karg; das Schweigen und die Leere vor Augen treffen sie sich im Tumultarisch-Labyrinthischen .

Joubert, der Schriftsteller, der keine Bücher geschrieben hat, Maler, die keine Bilder malen, Musiker, die keine Noten setzen.
Joubert zog das Zentrum dem Kreisumfang vor, um an einen Punkt zu gelangen, von dem aus alles hervorgeht und der keine Werke mehr nötig macht.
Die Zeit und die raumlose Wüste, ohne Vergangenheit und Gegenwart, die unfruchtbare nackte Erde und die Leere des Himmels.
Ich habe mein Werk nur durch 'Eliminierung' geschaffen, und jede Wahrheit, die ich erworben habe, ist aus dem Verlust einer Impression herausgegangen, schrieb Mallarmé. Die Destruktion war meine Béatrice...

- Wann hat, seither, die Wissenschaft oder die Literatur zugegeben, dass sich das, was sich nicht oder schlecht sagen lässt, auch so sagen lässt:

chrutschphmelanügügänglötüso o dre fas ma u di re ko miso lu put o nem
- oder, das Gleiche (und am besten ) gesungen -
(gesungen! )

Dabei geht es immer auch um etwas, das in keiner Beziehung zum Werk steht, das verleugnet wird, um an diesen Punkt zu gelangen. Die jähe Dunkelheit, Blindheit, die jähe Helle. Borges sagt, dass dass das Unendliche als Idee die andern Ideen zersetze. Das geht, verständlicherweise, den pragmatisch am Hier und Jetzt- Orientierten viel zu weit. Vielleicht können sie gerade noch sagen: Seht euch die Welt anders an, entziffert sie anders. Auch die Literatur kennt diese Erfahrung, aber Joyce, Proust, Beckett haben sich nicht entscheidend durchgesetzt, weil die Aufstände immer wieder abgewürgt wurden. Anders in der bildenden Kunst. Während in der Sprache Reflexion und Experiment zwar am weitesten vorstossen, bleiben die »Spiele« der Installations- und Performancekünstler offen und nicht risikolos für die Zunft, aber spannend. »Die technischen Mittel der Simulation nähern sich ihrer Vollendung an dem Punkt, an welchem auf die Wirklichkeit Verzicht geleistet werden könnte" (Blumenberg). Der Verlust der Sinne suggeriert aber auch die mögliche Wiedergewinnung -
(Wiedergewinnung wessen?)

Schon der christlichen Schöpfungsgeschichte, bei weitem keine triumphale, standen die dramatischen Untergangsvisionen entgegen, die unzähligen und vielfältigen apo- kalyptischen Bilder. Etwas immer wieder neu zu schaffen versuchen, was ohnehin zum Verschwinden verdammt ist! Die Hoffnung, dass das Entfernen und Zerstören des Nutz- und Sinnlosen am Ende trotzdem Sinnhaftes bringe, hat hier eine wichtige Wurzel.

Setzt die Literatur eher darauf, dass die Welt dann existiert, wenn sie formuliert, in Sprache gefasst vorliegt, und sie sich nicht nur in einem Gehäuse bewegt, sondern selbst ein Gehäuse ist, hat die experimentelle Kunst sich erfolgreich aus diesem Rahmen gelöst. Sie rotiert, flottiert, okkupiert, steigt wie es scheint bedingungs- , ahnungslos, überangepasst und experimentierfreudig in alle Innovationen mithinein, auch in alle technologischen. Schattenspieler, Gaukler und Schamanen, aber im Hintergrund das Bild, das sich auflöst, die Sprache, die zerfällt, die ökonomisch-soziale Dissoziationen und Kompressionen, die gewollt und ungewollt einfliessen, indifferent, beliebig und explosiv. Taumelnd und reduzierend, aufdringlich und verschwindend. Alles beginnt mit einer Vibration, sagt Octavio Paz, eine unmerkliche Bewegung, die von Minute zu Minute stärker wird. Wind, langes Pfeifen, scharfer Orkan, eine Flut von Gesichtern, Formen, Linien. Alles stürzt ein, schreitet fort, steigt auf, verschwindet, taucht erneut auf. Schwindelerregende Auflösung und Verdichtung. Luftblasen, Luftblasen, Kiesel, Steinchen. Felsen aus Gas. Linien, die sich überschneiden, Flüsse, die sich vereinigen, endlose Verzweigungen, Mäander, Deltas, wandernde Wüsten. Verwerfungen, Sinterungen, Zerbröckelungen...

- nehmen wir an, es gäbe eines Tages einen letzten Maler und einen letzten Dichter. Man kann im Traum an den letzten Schriftsteller denken, mit dem, ohne dass es jemand gewahr würde, das kleine Mysterium der geschriebenen Aussage von der Erde verschwände. .. Man kann annehmen, dass dieses Ende - auf diese oder andere Weise - in der Welt und im Kreis der Kulturen nachweislich als Ende unwiderruflich sei .

- Reden, ohne darüber zu reden, wäre ein Gespenst, die endgültige Bildlosigkeit der Sucide.
Oder, dementgegen, die Wiedereinfädelung ins offene, ins öffentliche Gespräch, ohne Pochen auf Autonomie, die Politisch-Gesellschaftliches wenn nicht ausschliesst, so doch nur unter ästhetischen Kriterien zulässt. Artikulieren, was einen stört.
Vertrauen auf das Tun: immer neue Weisen zu falten und neue Hüllen zu finden. Falten, entfalten. Wiederfalten. An irgend einem Zipfel anfangen und ausbreiten, auch die Farben. Oder auf die Kargheit der Zeichen vertrauen, auf die letzten Zeichen. Das Verstummen. Eine Rührung. Ein Gelächter. Eine Stille. Oder ohne Einschränkung offen, anarchisch, grenzenlos

An eine Wand gelehnt eine Spur ziehen

Ein Spiegel von Lichtern langsam in die Biegung

Wenig von vielem

Lange Jahre Stille als Geräusch

Vom Grau in die Fläche

Ehe das Sprechen anfing, farbig als wäre es hell

Zwei Quadratmeter Fenster, unbeobachtet

Man hört nicht mehr schiessen

Grössere Ähnlichkeit mit irgendwelchen

Wenig von vielem

Das Gehäuse aus Ritzen

Das Ende lange vorher

In einem Durcheinander von Schwarz- und Weisstönen schattiert

Oder beides

Rasend, mit äusserster Langsamkeit

»Geht weiter!« - Buddhas letzte Worte an seine Schüler.
Über das Ende reden, ist ein Anfang. L'Esprit en flamme... die enflammende Geste mit den Möglichkeiten des Sanften und des Zerstörerischen. Als Ungefügte, Trotzige, Spielende, Versackende, sich Aufrichtende. Ich nehme das Reden über die Zersörung der Kunst, ihr Ende auf, weil ich noch immer weiss, welche Entdeckung es für mich war, mit Farben und Material umzugehen. Und ich spüre noch immer den Tumult, der sich in mir austobte, als ich im Musée D'Art Moderne in Paris zum ersten Mal mit einer geballten Bildwelt der Moderne zusammenstiess.

Urs Jaeggi
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