Darum oder weil
Die Ausstellung, mit den aufsteigenden und abstürzenden Hosen der Wall Street Banker und den aufs Hemd ausgezogenen Kunden, den statistische kurvenreichen Börsenkursen, dem Video mit Arbeitslosen und Fotos, die aktuelle Weltkonflikte thematisieren, ist der Versuch, ohne grelle Stellungsnahmen, aber ebenso schonungslos Fragen
Zu stellen
Kapitalismus adieu und was dann? )
Abgrundwärts. Systemkrise und Systemwechsel wurden angesagt von Leuten, denen vorher jeder kleine Staatseingriff ein Gräuel war. Der Symbolbegriff Kapitalismus kam ins Flirren. Die Reaktion auch bei den Langsameren: staatliche Hilfe, und wenig später blieb auch Verstaatlichung kein Tabuwort mehr. „Der Staat als letzte Instanz, die handeln kann. Nicht die Banken, sondern die Bürger gelte es dabei zu schützen“ (Bundeskanzlerin Merkel). Unverbindliches Blablaba über die notwendige Verschärfung der Kontrollen im Finanzmarkt, und Uneinigkeit über das sowieso zaghafte Wie? Verwirrter Postkapitalismus trifft unausgegorenen Postsozialismus.
Die Systemkrise auf eine fatale Finanzkrise reduziert und die Katastrophe flink als Chance hochgeredet. Fast limitenlose Kreditzusagen, aber Minimalkorrekturen am Gescheiterten. Keine bad bank, das wäre ein noch zu schamloser Anker, aber gnadenloses Verschieben unabsehbarer Schulden nach hinten. Blase um Blase. Der Beginn einer neuen Blase.
Was nötig gewesen wäre und nötig bleibt: umgekehrt anfangen. Markt muss sein, aber welcher und wie organisiert? Ist es zum Beispiel sinnvoll (fast allen Banken) und allen Firmen, die man ohne genaue Kriterien mit dem Etikett systemnotwendig versieht? Hingegen Stützung des Schulsystem- und Ausbildungssystems fast nur durch Kosmetik der Aussenfassaden und Innausstattung, statt längst bekannte Massnahmen durchzusetzen, um die in den Siebziger Jahren rasch preisgegebene Chancengleichheit wieder voran zu bringen. Heute ist es allgemein bekannt: die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.
Und das war’s? Und wird so bleiben?
Änderung von unten hiesse vor allem auch: die Arbeitslosen nicht länger in ein über-bürokratisiertes, demütigendes und unüber-sichtliches Beihilfeprogramme zu zwängen. Die absurde Mindestlohndebatte, die noch immer vielen den Mindestlohn verweigert, streichen; für die unter dem Existenzminimum Lebenden und bis zu den prekär situierten Arbeitern und Angestellten ein zum Leben ausreichendes Grundeinkommen festsetzen. Dieser sozial und auch ökonomisch sinnvolle Eingriff würde nicht nur den handwerklichen und den freien Berufen, die dies längst nicht mehr sind, die Existenz chancenreicher sichern. Das Grundeinkommen könnte und müsste Hand in Hand gehen mit einem neu Denken des Kulturellen und einer Neuverteilung öffentlicher Gelder im Kulturbereich; weniger für Events und überalterte, mühsam und nur dank massiven Subventionen am Leben gehaltenen Kulturinstitutionen, dafür grosszügigere oder überhaupt Unterstützung der rührigen und produktiven Randgruppen lokaler Kulturszenen und intelligenter Sozialarbeit. Sie bringen den Hauptanteil an innovativ Neuem hervor.
Unbezahlbar wird gesagt, klar. In Wirklichkeit nicht unbezahlbarer und chancensicherer als die
milliardenschweren Rettungversuche maroder Unternehmen. Wir leben längst, und eigentlich wissen oder ahnen es alle, in falschen Polarisierungen: Kapitalismus versus Sozialismus, oder Lob der scheinbar vermittelnden soziale Marktwirtschaft, obwohl genau unter diesem Deckmantel der Markt sich immer weiter oligopolarisiert und die Finanzwelt sich und die daran Glaubenden und Hineingelockten gnadenlos ruiniert hat. Und eine Gesellschaft, die sich desolat wie eh und je nur über Arbeit zu verstehen versucht, obwohl Lohnarbeit rarer und rarer wird, hat ohne neu zu Denken keine Chance. Sind wir immun gegen die offensichtliche Verarmung und Verelendungstendenz immer breiterer Schichten; suchen wir lieber nach einem fiktiv freien Markt und überlassen wieder naiv der Politik das Sagen und Machen, obwohl die getroffenen Entscheidungen offensichtlich riskante va-banque Entscheidungen sind. Die politischen Parteien verklumpen sich in einer Mitte, die so wie man sie sich noch immer vorstellt, schon lange nicht mehr existiert. Niemand getraut sich das notwendig gründliche Sanieren von unten her konsequent anzupacken. Immer fragloser und hilfloser wird allen Ängsten zum trotz das Leben in einer borderline Gesellschaft akzeptiert. Mit dem Überleben im Falschen zufrieden, statt um mehr Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung zu kämpfen. Nicht als Philosophen und Künstlerträume Träume- Literatur und Kunst zeigen wo sie über das Beiläufige hinauskommt meist eher und schonungsloser die Abgründe
und Verwerfungen. Neues durchsetzen geht nicht ohne politisches Engagement vieler.
1) Text bezieht sich auf die Ausstellungen „Border“ und „Darum oder weil.“ Der im Rahmen der“Darum oder Weil“ Ausstellung von mir vorgetragene und diskutiertereText ist im Vorwort: Kunst ist überall. Eine Collage mitenthalten.
„Darum oder Weil.“ Galerie Marianne Grob, Berlin 2010
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