Passe - Partout Veröffentlicht 1997 im Katalog zu den Ausstellungen in der Galerie Raab, Berlin und Medici, Solothurn Natürlich treibt einen im Atelier vieles herum, manchmal zu vieles, dem man auch als Bildmacher ohne Wort nicht beikommt. Dabei fing es anders an. Beim radikalen Wechsel von der Schrift zum Zeichen, mit allen Konsequenzen, war es keine Ausflucht, wenn ich mich weigerte, darüber zu sprechen oder zu schreiben. Es ist wunderbar, mit einem Pinsel oder einer Feder über eine Oberfläche zu streifen, um etwas entstehen zu lassen: Nichts ist leichter und nichts ist schwieriger. Und noch dramatischer wurde es, als ich über Zeichenblock und Leinwand hinaus anfing, Figuren zu bauen. Papier, Holz, Eisen - was mir in die Hände fiel, was ich brauchte, und womit ich arbeitete. Ohne darüber Worte zu verlieren. Wozu? Fast blindlings arbeiten, ohne benennende Reflexion, aber auch ohne mich hinter der billigen Formel zu verstecken: darüber lässt sich nichts sagen. Ich schrieb nichts auf, schrieb mir nichts vor. Schwieg. Und dann kommen, wenn nicht das Erzählen oder Beschreiben, so doch die Geschichte (die Geschichten) zurück. Und das radikale Fragen: wie und warum? Was mache ich, wenn ich etwas mache, ist die alte Frage. Heute, wo alles Machbare auch von Nichtkünstlern machbar scheint, sind nur sehr egomane oder einfältige Künstler fraglos von dem überzeugt, was sie machen, weil, wie immer man es drehen und wenden will die Beliebigkeit das ist, was sie vorgibt zu sein: beliebig. Ein beliebiges Einerlei, das sich mühelos durchgesetzt hat. Scheinbar. Die einen verweigern die Erklärung, die andern erläutern, was es bedeutet. Die Erklärer als Kastrierer machen Schnitte, kodieren, auch dann, wenn es nur um modisches Bescheidwissen (Beschneidwissen) geht. Als Richter (Kritiker) oder causeur wollen sie das Gleiche: einordnen, hervorheben, rechthaben, gleichgültig, um was es geht. Wir leben mit und aus den Beständen. Bilder sind Erinnerung und Entwürfe, also Geschichte, aber ob Geschichte noch erfahrbar wird, ist nicht ausgemacht. Die Generation, die ‘ihre’ Gechichte in der Geschichte probte, ist weg oder am Abtreten. Und jetzt? Es genügt nicht, das Kartell des Ästhetischen zu denunzieren, um auf der richtigen Seite zu stehen. In der Zeit, als der Warencharakter der Kunst so ernst genommen wurde wie die Wahrheit, geriet diese Einsicht so sehr zum Kern, dass Nachfragen nach dem Ausdruck oder gar Harmonie kaum zugelassen wurden. Und wer sich nicht einfädeln lassen will oder kann? Eine eigene Syntax, eine Bildwelt, die scheinbar sehr spontan, aber auch wieder sehr kontrolliert ausfällt: zum Beispiel immer strengere Formen, bis nur noch ein Balken oder ein Quadrat zurückbleibt. Oder den Stift oder den Pinsel mit geschlossenen Augen sehen lassen und zeichnen. Oder lange nur mit einem Farbton arbeiten, wie ich es in diesem Sommer tat. Die Figuren, Segmente, Bruchstücke eintauchen in ein Anthrazitgrau, den Zustand, wo die Figuren und Bilder enden, unprätentiös, wie sie entstanden sind, notwendig im Entstehen und notwendig im Abtreten. Grau, wissend, dass es betörende Farben und Formen gibt. Die Leerstelle erreichen und dann, vermute ich, wieder zurück. Bilder, aus dem Überfluss und Überschuss kommend. Notwendig? An die Grenze gehen und weiter. Die Frage, die sich für den Schriftsteller stellt: Wer schreibt, wenn ich schreibe? gilt auch für den Maler und Bildhauer. Wer malt oder macht die Figuren, die entstehen? Die blosse Originalität besticht nicht mehr. Das Spontane fällt aus der angeblichen Frische und Unbekümmertheit in die Stereotypie zurück. Was vielleicht noch weiterführt, ist das Erzeugen unbestimmbarer, aber starker Erregungen und Empfindungen, das Aufspüren von Rissen. Herantastend und bestimmt: diese Form, dieser Strich, dieses Material. So kalt, dass es heiss wird, so heiss, dass kühle Distanz sich einstellt. Es gibt inzwischen alles zu sehen und nichts mehr zu greifen, nichts mehr auszuschneiden, einzurahmen, zu formen (auch wenn wir all das weiterhin tun). Jeder macht das Haltlose, an das er sich bindet. Dass es um Wahrheit nicht gehen kann (und eben doch geht), und dass nicht Schönheit oder Harmonie im Spiel sind (und eben doch und sei’s in der Negation): geschenkt, verschenkt? An den Erschütterungen sich ausrichten, das Unbegreiflich - Ungreifbare fassen. Das überraschende finden. Wir ahnen inzwischen zum Beispiel, dass in städtischen Brachen mehr Substanz, mehr Brisanz steckt als in den weltweit gleicherweise imponierwütigen Hochhäusern (an den Wolken kratzenden Gebilden), und wir wissen, wieviel halluzinatorischer, wieviel mehr Bild die verrotteten Türen, Fensterkreuze und Fassaden in den angeblch gesichtlosen banlieues sind als viele Atelierprodukte. Am Rande Sydneys, nach dem Besuch eines sogenannt freien Wildparks, wo auf engem Raum die Tiere unmenschlich vegetieren, den voyeuristisch kosenden Blicken der Besucher ausgesetzt, streifte ich, auf Bekannte wartend, über einen riesengrossen, leeren Parkplatz, der zum Wildpark, zum Kricket-Stadion und zum Golfplatz gehört. Eine riesige, unmerklich ansteigende Asphaltdecke, durchteilt von einer Baumreihe, wo ein paar schwarzweisse Vögel krächzen. Die kosmopolitische Metropole, in der ich ein paar Tage wild herumstreunte, ohne sie zentrieren zu können, war hier plötzlich auf versteinerte Weise verdichtet und bildhaft, viel beunruhigender, aufschreckender als der Versuch, über die Skyline Bilder zu finden. Das ‘Verrückte’, die ferngerückteste Distanz - ganz nahe. Auf leeren Asphaltflächen vor den grossen Stadien oder grosszügig ausladenden Vorortsflächen, wo das zur Kulisse verkommene Zentrum nicht existiert, inmitten der angehäufelten neuen oder schrottigen Autos, ist das Ich plötzlich abwesend. Wie in endlosen Wüsten oder von Menhiren besetzten Landschaften entstehen alptraumhafte Bilder, prägender, dunkler und heller als das meiste, was die Museen besetzt. Nicht leicht auszuhalten. Es geht dabei nicht ums Verschwinden, auch wenn es sich darum dreht, weil die Sehnsucht nach dem Nichts, dem Nichtwort, dem Nichtton gewachsen ist. Dass wir aus Tierlauten und Grossstadtsirenen heute so leicht und einfach Musik heraushören, gehört nicht zur techologisch bedingten Universalisierung, sondern zur Ästethik, die dem Rhizom oder, kulinarisch, dem Mischmasch im Salat folgt. Das Berühren einer Haut, eines Steines oder das grelle Gelb einer aufgerissenen, schnurgerade durch die Wüste gelegten Strasse, die wir gerade wegen dieses frevlerischen Einrisses geniessen. Ein Skandal. Skandale, die wir hellsichtig und hellhörig vorantreiben. Während ich am Circular Ouai in Sydney auf einem Mäuerchen hockend das bis jetzt Geschriebene zu redigieren versuche, sitzt mir gegenüber, auf der andern Strassenseite, ein Mann auf einer grau gestrichenen Kiste, sein Haar, sein Gesicht, seine Hände grau gefärbt, die Kleider grau, die Schuhe, die Flasche, die er in der Hand hält, grau, während er, pantomimegeschult, zu minimalistischen Tönen unmerklich seine Haltung verändert. Grau, vor einem hellgrau heiteren Himmel und dunkelgrauem Wasser. War es Zufall? Die Inszenierung macht meine bildnerische Arbeit der letzten Monate - grau, beinahe nuancenlos graue Körper und Bilder - nicht lächerlich, im Gegenteil. Der grau überzogene Darsteller ist Platzhalter, irritierendes Alter ego. Zwei grau glänzende Hände, Kopf und Arme in unmerklicher Bewegung. Mehr nicht. Eine Insel im Bereich des Möglichen. Letzte Wache wider den Schatten. Letzter Versuch vor dem Versteinern; aber auch vorstellbar, wie ein Datenhandschuh den Ding gewordenen Fremdkörper dirigiert, seziert und neu zusammensetzt. Meine Reaktion: Panik und Freude.
Können wir sagen: Die Welt ist Bild? Es gibt sie, weil es Bilder gibt. Reglos kaum sich bewegende Statue: eigentlich nur imaginär vorstellbar. Non video. Alles erfindend, alles herbeirufend, um Bilder zu finden, die es noch nicht gibt. |
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© Urs Jaeggi / Website: Universes in Universe |