Zwischen Jetzt und Jetzt Text zum Ausstellungsprojekt im Museo Universitario Contemporáneo de Arte, Mexiko-Stadt (August - September 1998) Die Stadt
Als ich als junger Schriftsteller und Dozent Ende der sechziger Jahre zum ersten Mal Mexico D.F. besuchte, durchstreifte ich wie jeder andere Tourist den historischen Kern, liess mich vom bunten Markttreiben betören, aber gleichzeitig war ich fasziniert und zerstört durch die unmenschlich wachsenden Vororte auf der einen Seite und die modern monumentalen Bauten auf der anderen. Auf dem für unsere Verhältnisse überdimensionalen Universitätscampus fühlte ich am stärksten den Riss zwischen Geschichte und Gegenwart. Auf der Anreise hatten mich die zerstörten und teilweise rekonstruierten Ruinen der Vergangenheit begeistert und irritiert. Denkmäler, architektonisch-ästhetische Wunder, und Ausdruck politischer und sozialer Gewalt, Zeugen der Unerdrückung und Grausamkeiten. Das Universitätsgelände spiegelte mir eine moderne Fassung. Als Ausländer und Künstler kann ich versuchen, das Verdikt von Octavio Paz’, dass eine Kritik in Mexiko an Mexiko mit einer Kritik der abgebrochenen Pyramide anfangen müsse, ernst zu nehmen. Vergangenheit festzuhalten, was gleichzeitig bedeutet die Gegenwart ernst zu nehmen, ist für mich wichtig, gleichgültig wie weit oder wie nah das was wir machen dem politischen Handeln steht.
Auf einer Schweizer Reise, es schneite, kamen plötzlich klare Bilder. Weiss, viel Weiss, weil es für mich von dorther Annäherungs- und Überbrückungsversuche zur mexikanischen Lebendigkeit und Farbintensität gibt: Weiss als Gegenpol zum Bunten, zur überwältigenden Farbigkeit. Monochrom Weisses, das alle Formen verändert. Intensität und Stille. Traumlandschaften. Kulturelle Zeichen, abstrakt und real, und die Lust, die vorgegebenen Räume zunächst virtuell aufzubauen; Virtuelles, das alles öffnet und vor der Realisierung zur Festlegung zwingt: alles zunächst potentiell. Diese Neuerfahrung heisst nicht nur Raumfahrt durch den Orbit (am Bildschirm). Wir können heute leicht virtuelle Erfahrungen machen, Cyberspace-Erfahrungen, aber wir sind immer noch auch fixiert auf Räume, die wir überblicken und »besetzen« wollen. Parameter sind Enge und Weite, von Innen her gesehen Abgrenzungen, Türen und Fenster in unbekannte Räume. Ich bezweifle, sagte ich, mein Glas schwingend, Ich bezweifle, dass ich hiermit etwas ändern kann und will. Die Vögel, sagte meine Gastgeberin, Was wisst ihr von den Vögeln. Was sich seit Jahren in mir geschrieben hat, ändert am Bild nichts, sagte ich. Es hat sich verändert, neue Plätze sind hinzugekommen, und alte, längst vergessene wieder aufgetaucht. Die Hähne, die in ihren engen Käfigen wild umsichschlagend auf- und abhüpfen, die kleinen Singvögel, bunter als die bunten Tücher der Indianerinnen, klammern sich mit letzten Kräften an ein Ästchen oder liegen, rücklings, im Sandbett. Gestankwolken entweichen den Käfigen und den dichtgedrängten Passanten, die aneinandergequetscht vorwärtsgetrieben werden. Ich will hier sein, ich will hier sein, hämmert es in meinem Kopf. Ich will, Ich will weg. Es gelingt mir nicht, das Augenflimmern zu durchstossen. Ich lasse mich mitziehen, die Hitze im Nacken, im Kopf, in den Füssen, bis ich an einem Marktstand, wo unzählige Haufen unterschiedlichster Kräuter aufgetürmt waren, einen leeren Schemmel fand. Die wild umsichschlagenden Hähne, die meterlang aufgeschichten Tomaten-, Zitronen-, Zwiebel und Knoblauchberge, das Trommeln, das feindliche Gekläff von aufgeschreckten Hunden, die ungestört wie tote Kadaver auf der Strasse lagen, die aufschrillenden Krankenwagensirenen, der angespannte Körper, der Schweiss auf meinem Rücken -, ein Schatten, von mir selbst getrennt. Eine Mauer. Überall Mauern. Wer es sich leisten kann, mauert sich ein, ganze Gässchen aus Mauersegmenten, riesige Garagentüren, schmaler, anonymer Hauseingang, fensterlos, und wer es sich nicht leisten kann, mauert sich zumindest selber ein, Blick nach Innen, auch beim direkt in die Augen sehen. Ich hätte geschrien, wenn ich hätte schreien können, nur um eine Sprache zu haben. Ich habe hier keine.
Du sitzst ihnen gegenüber oder bist mitten in ihren Schrittchen, Haut an Haut und bist woanders. Dem hohen Bordstein entlang fliesst trübes Wasser, das Plastikbecher, Zigarettenstummel mit sich treibt, Undefinierbares, so undefinierbar wie der Geruch, der sich aus dem Drinnen und Draussen mischt, erlesene Kräuterdüfte und Modriges, süsslich Gekotztes. Muy saborosos, schreit ein Händler seine Ware aus, muy saborosos. Die grellen Farben und das weissgraue Licht, Menschen und Autos bewegen sich wie aufgezogene Kinderspielzeuge, die Bilder und Laute um mich herum zerstreuen sich in zusammenhanglos herumfliegende Puzzleteile und werden durch Namen ersetzt: Itzcoatl, Ixmiquilpan, Xochimilco, Chapultepec, Llamaradas, Tlaplatan, Chihuaua. Mexico D.F. 1998. Ich war hier und wieder auf dem Platz in Volterra, ohne Sprache, el barbaro, ein eingefangener Barbar, der eigenen Lächerlichkeit preisgegeben. Wenn die Vögel sterben, treiben sie mit dem Bauch nach oben im Wind, höre ich meine Gastgeberin sagen. Die Menge, die den Platz einsäumt, johlt frenetisch. Wir sind alle da, wir sind alle da, schreien sie, ohne dass die Schreie den Platz erreichen. Sie kauern in schmutzigen Ecken, pockennarbig, schwarze Zahnstummel zeigend, oder clownmässig ernst, weissrot geschminkt mit zerfransten Pluderhosen mitten auf der Strasse vor den wartenden Autos Lotterielose oder irgendetwas anpreisend, bunte Mann- und Kinderpyramiden, weissgefärbte Gesichter mit Kohlenaugen, Teller jonglierend, Autofenster putzend, oder riesige Wolken von Ballonen hinter sich herziehend, oder die Trompete eines strammen Alten, wie ein krächzende Stimme, an Mauern gelehnte Liebespaare in der Metro und überall, und überallem und in allem die Hitze, die den Asphalt schmelzen lässt, Strassen aufbricht. Als einzige scheinen die an den Ausfallstrassen massenhaft aufgestellten riesigen Plakatwände mit jungen Mädchenkörpern und macho-bemuskelten Männern, das Camelkamel auf gelbem Grund und der lassoschwingende Cowboy ungerührt gegen die Lähmung zu halten, clean, cool, lichtüberflutet in der Nacht, vorgaukelnd, was den meisten unerschwinglich, aber doch da ist. Die gespreizten Beine lockend, das Lichtermeer betörend. Die auf dem Platz herumstreunende Katze, die Rothaarige, die liebessuchenden Händen fauchend ausweicht, ein Totenross des Hasses, wie Baudelaire Tiere ihres Kalibers nannte. Im schäbigen Vorstadtviertel, wo ich gelandet bin, gehen die Messer um. Der grässliche Schnaps steckt noch im Hals. Gegen morgen, vor dem ersten Hahn, mache ich Frieden. Ich reise ab. Gracias mucho Gracias. Auch hier werde ich wiederkommen, und mein Wiederkommen wird die Geschichte nicht zu ende bringen, wird nichts ändern können. Ein Gesang, ein langes Gedicht, ein Wortbild sollte es sein. Wo steht der Wind jetzt Das Wandern ungesehener Planeten Im Schlaf gehen Bulldozer auf dem Rücken Erektionen der Gewehre Die Frage, was das Faszinosum grosser vergangener Kulturen ausmacht, das Mexico profundo, kann ich nicht beantworten. Aber ich kann mich auseinandersetzen mit den Formen und mit Alltagsobjekten, die hier einen menschlichen »Instinkt« zu zeigen scheinen für Symmetrie und Geometrie, für Konstuktion und Chaos, Hoffnung und Zerstörung. In präkolumbianischen Fragmenten überraschen die einfachen, ausdrucksstarken Formen; Im Alltagsleben überwältigen die unzähligen »unbewussten« Installationenen, die man auf den Märkten, aber auch in kleinsten Geschäften trifft. Und unaufdringlich für unsere Augen fast schon die betörende Farbigkeit in allem.
Aus dem Haus Kommende, die auf einen Platz gehen. |
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© Urs Jaeggi / Website: Universes in Universe |