Kunst ist überall.
Ein Projekt
Leere und beinahe leere Fabrikräume: für den Betrachter ist das
faszinierende, dass man, wenn auch nicht den ganzen
Produktionsvorgang, doch sehr deutliche Spuren findet. Die gibt es in
diesem Fall nicht nur en passant : sie bilden einen deutlichen Kern. Die
Räume und die darin übriggebliebenen Reste üben einen
unwiderstehlichen Sog aus. Man füllt beim Betreten die Räume mit
Leben und kann einiges von dem, was in den Räumen früher passiert
ist, nachvollziehen. Vieles ist eine prallvolle Leere und Chaos. Im
Projekt kommen Bilder und Objekte von Aussen dazu. Man betritt
Räume einer Vergangenheit, die die Stadt Berlin, vom Beginn des
Industriezeitalters an bis in die Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges,
geprägt haben. Und die es so nicht mehr gibt. Die Gegenwart plant
anders und anderes, muss es. Die zum Teil architekturhistorisch
hochinteressanten Industriebauten verkommen zu Ruinen, oder zu
Abrissobjekte, oder sie erhalten nach der Entkernung suprermoderne
Räumlichkeiten und behalten im guten Fall die alte Haut. Oder man
geht , wie bei der ehemaligen Malzfabrik, damit behutsam um. Daraus
ein Kulturzentrum zu machen, das mehr übrig lässt als die äusseren
Wände, hat gute Gründe. Es sind fürs Publikum und für Künstler oft
genau so spannende Orte wie Museen und Galerien. Manchmal
spannendere. Und sie können einer vielzahl von Aktivitäten Unterschlupf
geben.
Mein Vorschlag für ein temporäres Projekt geht konsequent davon aus:
mit den gewählten Räumen, Teilen der verbliebenen Objekte und
eigenen Interventionen die Räume neu zu beleben. Nicht als Ort für eine
abgehobene Kunstausstellung; es geht um einen Dialog zwischen den
Räumen, den verbliebenen Gegenständen und dem Hinzugefügtem
(Objekte, Bilder, Installationen), wobei das von mir Hinzugefügte je nach
Räumen einen Hauptakzent setzen kann, aber immer im direkten bezug
zum Vorhandenen und zum Raum.
In einigen Räumen dominieren die vorhandene Strukturen und
Grossobjekte .
In anderen Räumen wird das Vorhandene gestützt durch
Interventionen. An diesen Eingriffen wird der Dialog zwischen Raum
und Objekten besonders deutlich: es geht um den Dialog zwischen
Raum und den Objekten unterschiedlicher Herkunft (ob in den Räumen
Vorhandes oder von mir gesetzte Kunst).
Es wird sich zeigen und zeigt sich dem genauen Betrachter jetzt schon:
noch im morbiden Zerfall hat die Industriekultur in der Gründerphase und
in der Blütezeit soziale und historische, aber auch ästhetische Spuren
hinterlassen. Reste einer vergangenen Arbeitskultur, aber auch Reste
einer Industrieästhetik, die nicht nur funktionales Instrumentarium
kreiert haben, sondern auch ein eigenes, künstlerisch spannendes
Formenuniversum. Im übrigen, wie wr noch heute in sogenannten
retarderten, Gesellschaften sehen , keineswegs ein “Erfindung” der
Industriegesellschaft. Die heutigen Malzfabrikanlagen zeigen dabei
deutlich den Übergang von einer Phase der Industriegesellschaft in eine
andere. Nicht stetige Expansion, sondern Stillstand , Ende und
Neuanfang.
Das Konzept verfolgt bei mir eine alte Spur: in einer Zeit, wo es keine
klare ästhetische Regeln für Kunstwerke mehr gibt, verschmelzen Kunst
und Alltag immer stärker. Feste Regeln gibt es nur als instabile. Wenn
nicht alles: vieles ist möglich. Was in kunstlerischen Arbeiten aber
immer Bestand hat: Intensität, Ausdruckkraft, Erschliessen neuer
Sehweisen. Eine der Entdeckenungen dabei ist dass die Alltagswelt
immer wieder auch Objekte herstellt, die die nicht nur Kunstwerke
beeinflussen, sondern selbst als solche gesehen werden können. Und
müssen. Und deshalbals zurecht solche gelten.
Das Erstaunliche dabei. Trotz der unübersehbaren Schwierigkeit, Kunst
einzugrenzen, bleibt deren „Welt“ noch immer weitgehend isoliert,
versammelt in Expertenkreise, einem gebildeten Kunstpublikum und
im Kommerz verankert und auch paralyisiert. Ausnahmen zu schaffen,
Kunst stärker, wo immer sie sich artikuliert, aus der autonomen,
eigenbrödlerischen Enge herauszulösen, ist kein leichtes , aber
einungeheuer spannendes unternehmen. Interessant, hoffe ich, für ein
Kunstpublikum, und für alle an der Altagskultur und Arbeitswelt
Interessierten.
Urs Jaeggi
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