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Urs Jaeggi. StandworteStandworte

Worttafeln auf fünf Plätzen in Solothurn, Schweiz

Mai/Juni 2001


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Standworte

I

Das Projekt geht von Wortbildern aus. Es stellt auf markanten Plätzen Worttafeln auf (Siebdrucke auf Metallplatten). Die Anordnung folgt als Linie dem Stadtraum und ergibt, virtuell verlängert, ein Netz. Die »Botschaft« sind Buchstaben, Wortfragmente, Wörter, Satzfragmente und Sätze.
Die Standorte: Altes Gewerbeschulhaus (links und rechts vor der Brücke), Rasenecke Kreuzung Rötistrasse/Basel-strasse Amtshausplatz (vor der SOBA), Kunstmuseum.

II

Wörter auf Plätzen, an Hausfronten, Werbesäulen und auf die Strasse zu stellen ist heute Sache der Werber, der Sprayer und der Konzeptkunst.

Unser Konzept bewegt sich im schwierigen und irritierenden Verhältnis: Kunst und Werbung. Kunst ist Werbung, Werbung ist Kunst?
Kunst wollte und will immer eine Ware als Abschaffung der Ware schaffen. Sie hat es nie geschafft und wird es nie schaffen. Die Differenz bleibt, und schockiert. Dass Kunst beliebig (funktional und vom Markt »geführt«) neben andern Medien steht, also leicht auch Hilfskraft der Kultur und Ökonomie wird, dämmert erst langsam und nicht ohne Widerrede. Trotzdem, unübersehbar sind heute die enge Nachbarschaft, die gegenseitigen Impulse und Überschneidungen. In unserem Fall ist die Überlappung Werbung/Kunst schon deshalb legitim und spannend, weil die Installation im Vorfeld und fast zeitgleich mit der Werbung für die Solothurner Literaturtage aufgebaut wurde.

III

Die Kunst übernimmt die Zeichen und Buchstaben (scheinbar) zwecklos und spielt mit ihnen seit Paul Klee, den russischen Konstruktivisten bis Henri Michaux und der amerikianischen Popart, ganz abgesehen von den unbestritten grossartigen, aber in genauen Grenzen arbeitenden Kalligraphen.

IV

Was soll die Installation?
Anregen, aufregen, die Lust auf Texte wecken. Wörter als Bild. Buchstaben und Wörter sind gleichzeitig in und ausserhalb der Sprache. Sind formal die Träger der Sprache. Und sind Zeichen und Signal. Der Text der Lust, das ist das glückliche Babel(Roland Barthes).
Texte mögen, viel und vielschichtig erzählt, Worte vor sich herwälzen und gesellschaftliche und imaginäre Räume schaffen. Die Reduktion setzt aufs Imaginäre und gegen die beliebige Bildflut. Das Verdichten, Zerschneiden, Fragmentieren sind Elemente der Einsicht in Unmögliches, das (als Phantasie) möglich gemacht wird. Poetisches.

V

Unsere Installation reduziert: No more words. Samuel Becketts Verdikt hebt sich im Niederschreiben des Satzes (eines paradoxen Imperativs) auf. Die Fragmentisierung vermindert eindeutigen Sinn und stärkt die Funktion der Zeichen (poetisiert sie).

No pictures: die zweite Radikalaussage, die Buchstaben, Wörter und Sätze ins Bild bringt, hebt sich beim Realisieren genau so auf wie das no more words. Nichts hält heute den Künstler zurück, alles steht zu seiner Verfügung, jedes Material, jede Medientechnik und (fast) jeder Ort. Diesem Überfluss steht entgegen, dass gerade die Kreativsten ihre ganze Kraft (auch wenn sie es von allen Seiten her angehen), auf einen einzigen Punkt richten. Es geht ums experimentieren, die Grenze der Akzeptanz in Frage zu stellen.

Buchstaben und Satzsegmente wie auf den Tafeln vorgesehen, oszillieren notwendigerweise zwischen diesen beiden Thesen: sie verweigern Sätze, manchmal das Wort und sind trotzdem, als Bild und Sprachemassiv präsent.
Es blühtEin Kind sagtKommt zu und lief und lief , zum Beispiel oder au contraire aber auch ein alleingestelltesim.

Wörter und Buchstaben werden auch mit den Maschinenbuchstaben aufregend fremd: ein H wie ein wütend Aufgerichteter, ein T als Träger und Kreuz unerschütterlich im Gleichgewicht...

VI

Das Projekt ist ephemer, taucht im öffentlichen Raum auf und verschwindet wieder (bleibt allerdings weiter verwendungsfähig, mobil.

Worte, Buchstaben sind verführerisch, verführen und entführen.
Buchstaben sind Fremde, Isolierte, Worte sind Verschwender, Allesbenenner, Zauberer


©  Urs Jaeggi  /  Website: Universes in Universe