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PRÄSENTATION MIRADA VIAJERA

im Museo Tamayo, Mexico DF 5. September 2004

Es gab für mich, nach langen Jahren,
wo ich wissenschaftliche und literarische Texte
schrieb und Studenten unterrichtete,
einen Bruch. Ich wollte meinen Augen trauen und ich
wollte meinen Körper einsetzen, meine Hände. Ich
wollte etwas, das ich schon immer wollte. Naiv, aber
wenn man aus einem Gehege (einem Gefängnis) heraus
will, ist Naivität wichtig.

Sie werden im Bildvorspann gesehen haben, dass ich
weniger mit dem Einzelbild arbeite, als mit Räumen.
Mit Bildern in Räumen, auch mit architektonischen
Formen. Mit Eingriffen (der Kunstjargon sagt:
Interventionen). Und auch mit Gegenständen, die ich
irgendwo finde. Im Fall der kommenden Ausstellung
in Puebla stand ich vor einer Überfülle. Im Park,
rund ums Museum, finden sie viele Leichen aus der
heroischen Zeit der Eisenbahn, in den Magazinen findet
man Bruchstücke und haufenweise Werkzeuge.
Ich dachte mir, dass man sich im Museum, das üblicherweise
historisch arbeitet, eine Welt herbeidenken kann,
die mit den Artefakten anders umgeht, aus ihnen die
Kunst herauslockt, die in ihnen steckt. Das ist viel
für ein Projekt. Aber es sind Gegenstände, die
dem Publikum, wenn auch nicht in dieser Präsentations-
form, bekannt sind. In späteren Ausstellungen müssen
andere weitergehen können. Grenzen ausloten, die
von heutigen Kommunikationsmitteln scheinbar mühelos
immer weiter nach vorn geschoben werden.

Mit Konzepten arbeiten (mit Installationen als
Interventionen) heisst in einem präzisen Umfeld
arbeiten, und es überschreiten. In unserem Kontext
heisst das: die komplexen Informtions- und Transport-
möglichkeiten ausloten , die sozialen, ökonomischen
und politischen Fakten mitbedenken und in Kunst
umsetzen.
Das Museo National de los ferro carilles Mexicanos
wird in dieser Projektserie Ort des Experimentierens,
des Ausprobierens und Nachdenkens darüber,
was Raumüberwindung und Raumbeherrschung heisst,
aber auch, was es bedeutet, sich den neuen Räumen
und Transport- und Kommuinikationsmöglichkeiten
zu unterwerfen. Und auch: was Kunst heute sein kann.

Die Eisenbahn war in der Zeit der Terraineroberung,
geographisch, politisch, aber damit auch kulturell,
ein unentbehrliches Mittel, schöpferisch und
zerstörerisch, es weitete Horizonte und es diente dem
Krieg, der quasi-liquidierung ganzer Völker und Kulturen,
sie diente der Arbeitwelt im Mobilmachen der
Arbeitskräfte und sie war Ort des Träumens und
der sagenhaft bequemen Fortbewegung. (Autos,
auch wenn sie phallischer sind, bleiben dagegen
Folterkammern, Neurosenträger und Aggressions
instrumente. Viel eindimensionaler.
Eisenbahnen sind passée, in vielen Regionen
schon fast nur noch Vergangenheit, und anderswo,
in Europa etwa, noch quicklebendig, unentbehrlich.
Trotzdem ist das Problem Räume zu überwinden
heute neu zu sehen, neu zu denken, weil die Eingriffe
tiefer sind, kulturell mehr erschüttern. Geschwindigkeit
hat uns weit hinter sich gelassen. Reisen sind virtuell
viel weiter als mögliches Reisen, wunderbarer und
grausamer. Die Literatur hat das schon immer gewusst.

Ich bleibe mit meiner Ausstellung vor Ort. Ich denke,
dass eine erste Ausstellung frech, aber umsichtig vorzu-
gehen hat. Meine Installationen versuchen das. Sie
zeigen, im Handwerkszeug und im Mobiliar, eine
in Mexiko keineswegs überholte Zeit, die mit
Materialien arbeitet, die an das Kohlen-Eisen-
Elektrizitätszeitalter gebunden sind. Material, das
eine dichte Sinnlichkeit hat, Material, das Hände
braucht. Das meiste ist vorgefertigt, hat Jahre,
Jahrzehntelang gedient, jetzt bekommt es ein neues
Gesicht. Was hart eingesetzt wurde, um Geleise zu legen
oder Maschinen zu reparieren: die Werkzeuge, Mittel
menschlicher Naturbeherrschung werden plötzlich
leicht und schwebend, poetisch, Vogel oder Fisch,
oder einfach funktionslos, sinnlos. Und präsent.Werkstücke.
Die Welt ist was der Fall ist, unversöhnlich. Kein Jetzt und
kein später ohne uns.
Urs Jaeggi
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©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe   María Linares