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Thea Herold


EIN VIEL FRAGEN STELLER

Oder:
Warum Jeremias Gotthelf nie nach Berlin kam

Zur Ausstellung von Urs Jaeggi in der Galerie Marianne Grob

Nicht immer muß man dem Titel einer Ausstellung nachgehen. Aber bei Urs Jaeggi ist es unbedingt notwendig. "Warum Jeremias Gotthelf nie nach Berlin kam" Ein Satz ohne Fragezeichen. Das Zeichen braucht es auch nicht. Jede seiner Zeichnungen ist ein Fragezeichen. Jedes seiner Bilder setzt einen Punkt. Eine Acryl-Blätter-Serie "Sigmund Freud sucht das Überich" wird zur literarischen Miniatur. Weil er schreibt, wenn er zeichnet. Und er zeichnet, wenn er schreibt.
Urs Jaeggi (geboren 1931 im Schweizer Solothurn) arbeitet seit nun schon mehr als dreißig Jahren als Maler, Bildhauer, Schriftsteller. Und umgekehrt. Das macht eine klare Einzäunung der künstlerischen Position dieses Schweizer Ausnahmekünstlers schlicht unmöglich. Für einen Betrachter aber, der sich um jene überlebte und allein auf Sparten orientierte Kleingartenordnung unter den Künsten nicht schert, wird die Betrachtung seiner verwobenen Kunstwerke zur dreifaltigen Freude.
Obwohl auch bei seiner aktuellen Einzel-Ausstellung mit konzeptueller Strenge alles Überflüssige draußen bleibt. Selbst Rahmen für Bilder wären zuviel. Gerade deshalb oder trotzdem staut sich in den Räumen der Galerie die ungezähmte kreative Fülle.
Nichts ist mehr zu spüren von der trotzigen Mühe, die ihm einst das "Aussteigen" aus seiner akademischen Professoren-Karriere gekostet haben mag. Mit fröhlich-freier Hand zeichnet er seine etablierten "Titellosen" blind aufs Blatt. Wobei die "Blindzeichnungen" nicht der geschlossenen Augen wegen so tituliert werden. Jaeggi macht schon die Augen auf, wenn er dem visuellen Echo einer Person nachlauscht. Aber er zeichnet eherden inneren Klang. Der sich dann -wieder und wieder gezeichnet Ðzig mal überlagern kann. Tonlage über Tonlage. Da hört wer mit vier Ohren und sieht mit zwei Dutzend Augen, oder mit zehn. Und statt realistischer Porträt- Zeichnungen gibt das wundersame Psychogramme. Der Rätsel voll.

Bei der Serie "Elementarteilchen" geht er in den umgekehrten Weg, und vereinzelt das, was sich sonst überlagern würde. Die Einzelformen setzt das Auge ganz nach Lust wieder zusammen. So machen diese Zeichnungen "richtig Arbeit". Sie reißen den Blick mit einem Schmunzeln aus dem Gewohnten, fast wie ein Witz.

Überhaupt diese Schichtungen: Das ist bei Jaeggi weniger eine äußerliche Technik, als mehr seine innere Methode. Ein stetiges "Einen Schritt-vor-den-Anderen-setzen". Mal schraffiert er in seinen scharz/weissen Bleistift- und Tuschzeichnungen, mal malt er monochrom. Dabei wird aus eine erdigen Farbe "offenes Feld" und die Traumfarbe Blau reüssiert als "Robert Walser träumt vom Jura".
Und warum nun kam Jeremias Gotthelf nie nach Berlin? Es heisst, dass der legendäre Schweizer Bauern-Dichter, der als Albert Bitzius 1797 geborenwurde, als schriftstellernder Pfarrer sein Schreiben als Fortsetzung der Seelsorge mit anderen Mitteln verstand, und dass er Zeit seines Lebens heftige Zeitkritik übte. Doch wie bei allen Fragen, die Urs Jaeggi in seinem vielfältigen Oeuvre an uns stellt, lässt er auch hier die Antwort offen. Und gut ist«s.

Tagesspiegel, Berlin, 23.Dezember 2006
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©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe  &  María Linares