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GOETZEN


Ich und die Anderen


Internationales Kunstprojekt
vom 5. Juni bis 11. Oktober 2004
Frankfurt (Oder), Sublice

(Ein Gruppenprojekt oder die schwierige Arbeit mit einem Künstler als Kurator)

1 Das Projekt Goetzenhaus
Als ich, im Ausland tätig, gefragt wurde mich am Projekt zu beteiligen, sagte ich ja. Wir diskutierten zur gleichen Zeit in Mexiko unter Freunden ein Projekt an der Mexiko/USA Grenze.Grenzen sind ein wichtiges, ein heisses Thema. Sie existieren konkret und brutal, einerseits, und sie sind, virtuell sowieso, längst auch nicht nur geographisch- politisch eine Herausforderung. Globalisierung heisst der zu simple Nenner. Oder Integration.
Im Bereich der Bilder ist Fremdes mit Fremden konfrontiert, unabhängig von Grenzen. Da zeigen sich Grenzen, die, wie offen auch immer, zunächst Grenzen sind. Sie sind es nicht nur negativ, beeinträchtigend. Im Gegenteil.
Grenzen markieren Differenzen, öffnen neue, unbekannte Räume.
Ob dabei im Zentrum der Probleme die Frage stehen muss: Was gibt dir halt", und die Beteiligten zum antworten nur den Innenraum haben, ist fragwürdig. Ich lasse mir das, was mir Halt gibt, nicht an den Haaren herbeiziehen: So, jetzt zeig dich.
Halt meint Stopp. Nicht weiter gehen. Kunst aber ist schweifen, fragil, ephemer, auch dort wo sie sich verankert gibt. "Ich und der Andere" braucht nicht das muffige, selbstquälerische Drinnen. Kunst braucht Luft, sie verzeichnet, geht vieleicht ins Leere, aber sucht, verspricht.

Der Begriff "Goetze" wurde im Vorbereitungsgremium umstritten und später einzeln, wenn auch viel zu spät, mit den beteiligten Künstlern diskutiert. Viel zu eng die Vorgaben, zu vorgeprägt. Die Begründung des Kurators war: "Goetzen" ruft bei den meisten Menschen diffuse, nicht konkret zu Beschreibende Empfindungen hervor. Diese Empfindungen gleiche denen, die man habe, wenn man bei etwas Verbotenem erwischt werde. Im Gegensatz zu geschmeidigen Begriffen der Kommunikationsindustrie gehe "Goetze" nicht einfach ins Ohr, sondern berühre, verkante sich, und rufe Fragen hervor, die nicht alltäglich sind. Fragen nach der Erklärung des Lebens und der individuellen Lebensbewältigung." Pures Wunschdenken. Unter 30 von mir befragten Passanten, Verkäufer und Verkäuferinnen in der Einkaufsstrasse kannte ein einziger das Wort "Götze; es muss etwas Negatives sein, war seine Antwort. Bei Studenten und Besuchern der Eröffnungsveranstaltung, waren die Antworten vielfältiger, zum Teil durch nachhelfen mit einer Wortliste, die Mehrfach- antworten zuliess. Die vorgegebenen Wörter: "Rathaus - Fertighaus - Götterhaus – Freudenhaus - Rasthaus - Kunsthaus - Scheisshaus – Armenhaus – Irrenhaus – Oder: eigene Beschreibung".
Die 41 Antworten zeigen ein aufgefächertes Bild. Kunsthaus wurde von niemandem gewählt. Die übrigen Bezeichnungen hielten sich die Waage mit jeweils zwei bis drei Ankreuzungen.
Wenig aussagefähig, mit Ausnahme von Antworten von Studenten, z.B. "Ich assoziiere es mit Walter Benjamin. Es wäre KAUFHAUS. Eine zum Verkauf gestellte Ware, die Kultware wird, zum Fetisch...die Nacheinander folgenden Einkaufsräume ziehen an, wie Altare.. der Konsument und konzentriert den Regalen entlag, wie durch einen Kreuzweg. Am Ende erwartet ihn eine Gnade... – seine Kommunion.
Und vielleicht noch DIRNENHAUS: die Frau als Ware (analog zum KAUFHAUS). Zum Verkauf gestellter Körper einer Dirne." Naheliegender ist es trotzdem, die Bezeichnung Goetzenhaus zu vergessen, und den Inhalt der Goetzenhäuser als Stationen beim Überqueren der Grenze zu verstehen. (www. Kunstprojekt Frankfurt Oder).

2 Mein Goetzenhaus

Phase I: In der Fussgängerzone wurrde nach dem Aufstellen das zugeteilte Götzenhaus von mir mit Helfern teilabge- rissen. Nach der Teilzerstörung wurden die Reste mit rotweissen Bändern abgesichert.

Phase II: Aus der Ruine wurde mit den vorhanden und vorbereiteten Bauabfällen eine bewohnbare Hütte gebaut. Der Innenraum ist von Aussen einsehbar. Bis auf Resten von Dachpappe und zersplittertem Holz und Brettern ist der Raum innen leer. Das Licht kommt durch einige schartenähnliche, offene Lücken.Die in allen vier Wänden angebrachten Scharten geben ausschnittweise den Blick frei durch die andern Wände nach Draussen. Gleichzeitig sind die Scharten für den Besucher aber auch Öffnungen, die einen Blick von Innen nach Aussen freigeben, ähnlich wie Bunker, die den Beobachter schützen, aber den Insassen auch zum Voyeur machen: sehen ohne selbst gesehen zu werden.

3 Projektbegründung: Götzendämmerung

Warum die Dekonstruktion und Rekonstruktion?
Zur Projektabsicht des Kurators, im häuslichen Innern der Götzenhäusern Geborgenheit und Sicherheit vor Übergriffen Raum zu geben und in der gegebenen Abgeschiedenheit, die auch Besinnung und Verlorensein signalisieren sollen, steht mein Projekt quer. Die Begründung für die Götzenhäuser forciert individuelle Mythologien: "ein geistiger Raum, in dem ein Einzelner jene Zeichen und Signale setzt, die ihm die Welt bedeuten." Mein Gegenprojekt negiert dabei nicht das individuelle Erkennen, Sehen und Machen. Mir ist die Fragestellung zu extrem auf Innerlichkeit abgestellt, die zudem über das "Zeigen" von Kunst hinausgehen soll. Die "anderen Quellen", aus der Menschen schöpfen, können aber für Künstler im Werk nicht noch einmal transzendiert werden. Entweder ist dieses "Andere" im Werk enthalten oder nicht.
Das affirmativ geforderte Basteln positiver "Gegenwelten" kann in diesem Rahmen nur ambivalent gemeint sein. Sicher gibt es anthropologisch begründbar die Sehnsucht nach der "Höhle", die abschirmt; akuter ist in meinen Augen der nackte Überlebenswille, die Notwendigkeit einer wie auch immer gestaltbaren Behausung, bis hin zu den "homeless", die sich aus Kartons und Abfällen Unterschlüpfe basteln. Nicht zufällig sind die Höhle für die Sesshaften und das Zelt für die Nomaden transkulturelle Chiffern. Ebenso deutlich ist aber auch, dass der "behauste" Mensch immer auch (und für immer grösser werdende Gruppen) ein "unbehauster" ist. Während man seit Jahrzehnten in den Alpenländer auf menschenleere Dörfer stossen konnte, ist das Gespenst fast menschenleerer oder zerstörter Häuser und Ortschaften heute auch in alten Industriegebieten im Wachsen. So gesehen ist das Setzen und "Bespielen" modulmässiger Häuser tatsächlich eine Provokation. Individuelle Modulhäuser sind – Amerika hat es am exzessivsten massenhaft produziert -, erschwinglich, abschirmend, zum Teil in faszinierenden Landschaftskulissen (allerdings eben auch überwiegend landschaftszerstörend). Ich-Bewohner im Familienkreis, deren Milieu längst schon in bösen literarischen Texten und auch als "Inneninstallationen" in der Kunst präsent sind.
In den Frankfurt/Oder Modulen soll sich nach der Projektbeschreibung in den von 13 Künstlern gestalteten Innenräume ungehindert das Irrationale, Sonderbare, das Rationale, Sakrale, Asketisch-Minimalistische frei ausdrücken, um positive "Gegenwelten" zu suggerieren.
In diesen Rahmen, setze ich mein Gegenprojekt, emphatisch formuliert, als Menetekel. Wir leben –auch die "Behausten" - provisorisch, auf Abbruch. Wenn Dauer suggeriert wird, ist diese immer kurzatmiger und prekärer. "Mobilität" oder "Identität" (wie fast das ganze sozial-wissenschaftliche und das philosophische Vokabular), sind längst in Gefahr, zu "Beruhigungsbegriffen" zu verkommen, die voreilig innovative oder stabilisierende Strategien vorgeben und als systemnotwendig prätendiert werden. Kunst ist da direkter, karger oder bunter; sie hat mehr Freiheiten, kann offener sein, ist aber auch unbehauster. Sie macht, was sie machen will, was sie machen muss.
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©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe  &  María Linares