home  

zurück
Urs Jaeggi
Ausstellung "Gleichungen" in der Mathematischen Fachbibliothek, TU Berlin, 6.12.2005 - 28.2.2006



behalte null

Ich bin Autodidakt und in dem, womit ich hier spiele, Dilettant. Ich bin mit einem Zeugen zusammen, Robert Kaplan. Er gibt mir die Vorlagen, ich folge ihm. Seit ich als Achtzehnjähriger Sartres l'étre et le néant gelesen habe, verfolgt mich das Nichts, konkreter als vorher. Das Nichts, das, weil ungreifbar, etwas abstraktes und schleimiges,
nichts vorgibt. Jeder muß selbst wählen, sich, seinen Sinn, alles, weil ohne die eigene Entscheidung alles zwecklos, willkürlich ist. Das Wesen geht nicht Existenz voraus; umgekehrt. Für das, was man ist, trägt jeder die eigene Verantwortung.
Von null, mit nichts beginnen. "Nichts, das nicht da ist, und das Nichts, das es gibt.
"Die Null, sagt Kaplan, ist weder negativ noch positiv, sondern das schmalste Niemandsland. Aber unser von Analogien besessener Geist sucht Ausdruck in ausdruckslose Gesichter hineinzulesen, will die Leere aufheben. Welche und wie?
"...sobald die irdische Ordnung in seinem Organismus zerstört ist, beginnt sich die
Möglichkeit einer andern Welt abzuzeichnen... Uns allen stellt sich die Ewigkeit als eine
Idee dar, die man nicht begreifen kann, als etwas Riesenhaftes, Gewaltiges; aber warum denn unbedingt so riesig? Stellen Sie sich vor wenn es statt dessen dort nur ein kleines Zimmer gibt, von der Art einer ländlichen Badestube, schwarz vor Rauch, in allen Ecken hocken Spinnen, und das ist die ganze Ewigkeit." (Dostojewskij)
Mein Begleiter ist ein sympathisch klar argumentierender Amateurphilosoph und ein Grübler über Zahlen und Symbole. Ein Mathematiker. Betrachtet man, eine Null, sieht man nichts; blickt man aber durch sie hindurch, so sieht man die Welt. "Denn die Null rückt das große organische Geflecht der Mathematik ins Blickfeld und die Mathematik ihrerseits die komplexe Natur der Dinge. Vom Zählen zum Rechnen, vom Schätzen zum exakten Wissen, wann die Gezeiten der Dinge ihren Höhepunkt erreichen, erlauben uns die glänzenden Werkzeuge der Mathematik, dem schlingernden Kurs zu folgen, den alles durch alles andere hindurch nimmt. Und alle ihre Teile
schwingen um den kleinsten Dreh- und Angelpunkt: die Null.

Ich wollte zuerst mathematische Formel, die um die Null kreisen, an die Wände der Bibliothek
malen. Ich bin dann bei den Mayas hängen geblieben, vordergründig weil ich neben Berlin in Mexiko wohne; eigentlich aber, weil bei den Mayas die Null ausdrucksvoll visuell und poetisch war. Das Bild der Maya, sagt mein Begleiter, besteht zu einem Teil aus Fakten und zu drei Teilen aus Vermutungen. Man könne sich dabei nur schwer der Vorstellung ent-ziehen, daß sie zählten, als hinge ihr Leben davon ab. Was sie zählten, war die Zeit. Das Anfangsdatum des Universums wäre nach unserem Kalender der 13. August 3114 v.Chr. Das war für die Mayas der Tag null. Die Glypten für Null, um fehlende Zahlenglieder darzustellen, waren manchmal ganze Figuren, zuweilen eine halbe Blume; in Manuskripten waren die Symbole dafür manchmal Schneckenhäuschen, dann wieder etwas, wofür wir keine Namen haben.

Es war die bildhafte Umsetzung, weshalb ich für diese Bibliothek die Mayas wählte. Näheres, viel genauer, im Buch meines Begleiters, Robert Kaplan. Die Geschichte der Null. Campus Verlag Frankfurt/New York, 1999. Er fragt:
"Und was ist eigentlich für eine Beschäftigung, die Mathematik? Eine Mischung aus Herum-probieren und Inspiration; eine Idee. auf die jemand stößt und die dann vielleicht Jahrhunderte schläft, nur um plötzlich hier und dort in einem veränderten geistigen Klima wieder hervorzukommen, eine fortlaufende Beschäftigung zwischen Raten und Rechtfertigung, zwischen Phantasie und
Logik.
Poesie, sage ich.
zurück zu

zurücktexte

zurückausstellung
zurück

©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe  &  María Linares