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Fliegen
Urs Jaeggi zeigt in der Galerie Rössli Balsthal Bilder und Bild-Installationen



Urs Jaeggi hat aus seinem Wohn- und Arbeitsort Berlin neue Bilder, eigentliche Bild-Installationen, nach Balsthal gebracht und spielt dabei eindrücklich mit den räumlichen Gegebenheiten der Galerie Rössli.
Verena Zimmermann

Selten erlauben sich Ausstellende, ganze Wände frei zu lassen. In der Ausstellung «Bilder» von Urs Jaeggi aber sind unbesetzte Mauerstücke der sprechende Gegenpart ausdrucksstarker Wand-Assemblagen. Die grosse Accrochage monochrom rot gefärbter Leinwandstücke spielt selbst schon mit dem Hintergrund der weiss verputzten rauhen Wand. Das Gegenüber ist Freiraum und lässt die aus einfachstem Material gefertigte Wand-Collage, ein Spiel mit sprödem Material und spröden Formen, ihre Wirkung entfalten. Die Formgebung der ausgerissenen oder grob geschnittenen Einzelteile scheint vom Zufall mitbestimmt, die grosse Komposition aber ist mit Bedacht organisiert. Leicht fransende Ränder werfen leichte Schatten. Urs Jaeggi lässt hier, was wie beiläufig gefunden wirkt, gegen die Entschiedenheit des Entwurfs arbeiten. In dieser Spannung stehen seine Bilder und Skulpturen seit langem, so auch vor zwei Jahren die sozusagen an die Wand geworfenen, sich im Hängen bauschenden Leinwandtücher, die in der Schweiz allerdings nie zu sehen waren.
Das Unfertige wird zum Bestimmten, wenn es wie die roten Leinwandfragmente in eine Komposition gebracht wird. Oder: Ein zerbrochener Baustein, die Zementoberfläche weiss versiegelt, ist skulpturales Objekt mit vorrangig ästhetischen Qualitäten, dem die ursprüngliche Funktion abhanden gekommen ist, und dies nicht nur, weil es als Bruchstück im praktischen Zusammenhang nicht mehr taugt. Im Bauschutt hatte die offene Kerbe in der gleichmässig geraden Kantenform fasziniert, «das Maul», sagt Urs Jaeggi obwohl man diese Form auch rein konstruktiv sehen kann, aber Urs Jaeggi arbeitet ja immer wieder und auch in seinen Spracharbeiten mit Körper-Bildern. Von der «bildhaften Seite der Sprache» hat denn auch der Journalist und Schriftsteller Aurel Schmidt an der Vernissage gesprochen. So oder so, im hinteren, tiefer gelegenen Galerieraum, im Keller sozusagen des alten Eckhauses am grossen Platz in Balsthal, wird die siebenteilige Gruppe der weissen Zementblockfragmente auf weissen Holzsockeln zur faszinierenden Bodeninstallation, zu einem Formenspiel in Weiss, das sich fortsetzt im grossen Triptychon, Acryl auf Leinwand. Eine weisse, in geschwungene Konturen gefasste Form schiebt sich, einer Öffnung gleich, in den roten Grund. Das Rot setzt sich leuchtend ab von der Mauer, deren eigenes Weiss wiederum in den Zwischenräumen der drei hochrechteckigen Bildteile ins Weiss der Malerei hineinblendet. Obwohl als zwei Werke konzipiert, verbinden sich hier Malerei und Skulptur zu einer einzigen Installation.
Urs Jaeggi, der bereits 2001 in der Galerie Rössli ausstellte, hat auf die Räume hingearbeitet und mit der sparsamen Setzung seiner Arbeiten eine Atmosphäre der Konzentration geschaffen, in der auch Raumdetails wie die angeschnittene Kuppelform über den Kellerstufen oder die mächtigen Bodensteinplatten in ihrer Eigenart zur Geltung kommen. Zunächst aber war man im Hauptraum der Galerie an Urs Jaeggis frühere Variationen mit Buchstaben, mit Wortfetzen erinnert worden. Was Urs Jaeggi jetzt aber orchestriert, 27 quadratische Bilder, 30 mal 30 cm, schwarz auf naturfarbener Leinwand, ist eine andere, sinnlicher akzentuierte Welt. Wie in der roten Wand-Collage stellt sich, mit der farblichen Assoziation an Sackleinwand, der starke, archaisch wirkende Materialeffekt ein. Das trifft sich mit dem archaischen Charakter mancher der schwarzen Formen: ein Haken, ein fast zum Kreis geschlossener Bogen, ein Dorn, eine pflanzenhafte Keule, ein schräg gestelltes Dreibein, ein Bumerang - vielleicht. Wenn wir uns an Dinge, die wir kennen, erinnern lassen, wird diese Malerei zu Zeichen, ähnelt Fragmenten aus einer Bilderschrift. «Gibt es Bilder ohne die andern?» Urs Jaeggi hat an der Vernissage eine Sprach-Collage gelesen, Notizen, Gedankensplitter. «Was wären meine Hände ohne meine Augen. ... Was weiss ich von meinen Händen. ... Sich einzeichnen in die eigenen Augen, bis es fremde sind. ...»
Im Malen, im Schreiben spiegeln sich Erfahrungen. In den quadratischen Bildern spiegelt sich wieder auch die Affinität zum «objet trouvé», dem Zugefallenen, Gefundenen, zu den einfachen Materialien, mit denen Urs Jaeggi immer wieder neue Wendungen in einer minimalistischen Formensprache sucht. «Das Glatte finde ich in jedem Warenhaus.» Urs Jaeggi ist, auch lange nach seiner soziologischen Universitäts-Tätigkeit, der Gesellschaftsbeobachter geblieben. Das findet seinen Niederschlag sehr gelassen, souverän und locker in malerischen Notaten. Sie schreiben nicht fest, geben eher Anstösse zu weiteren Bildern. So hat die grosse Bilderwand etwas Erzählerisches. Dennoch geht alle Anregung durch die Augen. Fast geraten sie ins Tanzen. «Fliegen» sagt Urs Jaeggi als Stichwort zu seiner zum Lesen-Sehen anregenden Auslage.

Galerie Rössli, Balsthal, CH). Bis 19. Dez. 2004.
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©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe  &  María Linares