© Urs Jaeggi / Website: Universes in Universe
Kurator: Rolf Külz-Mackenzie
ansLicht gebracht
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Das ursprünglich auf zwei Installationen geplante Projekt wurde nach dem endgültigen Standort wesentlich erweitert. Jetzt ( im Saal 2) fügen sich die zwei Installationen in die übrigen 3 Säle nahtlos ein.
Die Räume: 4 frühere Werkhallen der Malzfabrik, Berlin, die seit mehreren Jahren zu einem Kulturzentrum umgebaut wird, hatte auf der gleichen Fabrikebene drei weitere, identische Hallen, alle nebeneinander.
Da ich am selben Ort, ein Stockwerk höher, 2011 eine Retrospektive inszeniert hatte, und mich damals das Bespielen von Räumen, die noch deutliche Spuren der früheren Produktion enthalten, sehr inspirierten, nahm ich das Angebot, alle vier Hallen zu inszenieren, gern an. Das Installationen-Projekt wurde so in eine Retrospektive von Arbeiten der letzten fünf Jahre umgewandelt.
Man betritt wieder Räume einer vergangenen Industrieepoche, merkt aber auch sehr rasch, wie die Räume mit den Spuren der Fabrikanlagen und den Kunstobjekten sich gegenseitig ergänzen. Die zwei geplanten Installationen fügten sich nahtlos ein. Das in den drei übrigen Hallen Inszenierte zeigt auch diesmal, dass die Arbeiten sich auf keine Ausdruckform allein fixieren; Abstraktes neben Realistischerem, Werkgruppen, kleine Installationen, und Gruppen, z.B die Flüchtlingsbilder (ein Thema, das mich literarisch und künstlerisch schon seit Jahren beschäftigt); die in Mexiko entstandenen Nachtbilder, und immer auch wieder: die objets trouves, Fundstücke, unberührt oder verändert; und Blindzeichnungen; seit zwei Jahren dabei auch Fotos, die ich für mich Fotomalen nenne: vergrösserte Fotos mit gemalten Partien.
Ob Gegenst ndlich oder nicht: auf der Suche bleiben. Und immer die Fragen: warum; und für wen?
Unbekanntes, Erahntes verfolgen.
Die beiden Installationen:
1. Zerbrochene Fenster
Die broken-window-theorie wurde Ende des letzten Jahrhunderts in New York eingesetzt, mit dem Ziel, den Zerfall der Stadt und die steigende Kriminalität in ihren Anfängen zu stoppen.
Die broken-window-Theorie ging davon aus, dass kleine, aber gut sichtbare kaputte Fenster Anlass genug sein müssen, um behördlicherseits einzugreifen, stellvertretend für grössere Delikte mit der These, dass mit dieser Massnahme später auch grössere Delikte in geringerer Zahl stattfinden würden.
Das Ziel: aus New York eine saubere Stadt zu machen, mit der Polizeistrategie Null Toleranz. Die Annahme: kleine Bagatelldelikte sind der Einstieg in schwerere Verbrechen.
Die Massnahmen hatten Erfolg, obwohl es auch andere Befunde gab, die davon ausgingen, dass die gleichzeitig schärfer verfolgten grösseren Delikte den Hauptanteil hatten an der (relativen) Säuberung New Yorks.
Ich verwende hier und heute die broken-window Parabel, um sie umzudrehen, auf den Kopf zu stellen. Nicht erhöhter Polizei- und Militäreinsatz führen zu einer Minderung der Kriminalität; nicht von der Regierung und den Regierenden im Staat und den Ländern kommen heute brauchbare Initiativen (als eklatantes Beispiel Mexiko); die jeweilig ausgegrenzten Bürger (die legalen und illegalen Immigranten eingeschlossen) müssen Alternativen finden, für ihre häufig prekäre Lebenssituation und diese durchzusetzen versuchen.
Im Projekt, broken-window, sind die zerbrochenen Fenster Zeichen: sie symbolisieren die zunehmende Verrohung und Verrottung, den Zerfall der gesellschaftlichen Ordnung. Fast alle Staaten auf der ganzen Welt sind einer wachsenden Differenz zwischen reich (extrem reich) und arm (extrem arm) ausgesetzt. Die Zahl der Hungernden und Verhungerten steigt, die Zahlen der aus Not und Hoffnung illegal Eingewanderten und zum Teil Jahre auf die Legalisierung oder Abschiebung Wartenden steigen ebenfalls; sie stehen auch für die einheimischen Armen, für die Arbeitslosen, im Leben Gescheiterten - aber auch für die gesellschaftlich Gescheiterten. Die zerbrochenen Fenster symbolisieren die Brüchigkeit heutiger auf Effizienz und Wachstum ausgerichteten Gesellschaften, was auch immer unter Wachstum und Effizienz zu verstehen ist. Sie symbolisieren auch Kriegslandschaften, zerstörte Städte.
Die kaputten Fenster fallen auf durch die Intensität und die Formenvielfalt, die viele und unterschiedlichste Empfindungen zulassen.
Neben den real inszenierten Fenstern gibt an einer Wand Fotos zerbrochener Fenster in Privathäusern, Geschäften und Fabriken.
In fast allen Diskussionen über Kunst heute wird zu Recht die Frage gestellt: wie politisch darf (oder muss) Kunst sein? Und ist sie überhaupt politisch?
Ich halte mich, weil ich selber es immer so gesehen habe, an Jaques Ranciere: Kunst ist politisch, ob sie davon Gebrauch macht oder nicht.
Die Darstellung braucht einen Text neben einer Tafel, auf der die Besuchcher ihre Eindrücke in Wort und Bild festhalten können.
2. Grenzüber (Saal)
Auch hier wird die Installation gestaltet mit vorhandenen Objekten und Musik-und Geräuschfragmenten.
Marcel Duchamp hat mit einem simplen Eingriff, nicht allein, aber mitentscheidend, die überlieferte ästhetik und den überlieferten Zugang zur Museumskultur verändert. Ein Pissoir genügte.
Im Nachhinein lässt sich leicht sagen: es lag in der Luft. Ja, es entfaltete sich in Köpfen, die Reales in scheinbar Irreales verwandelten. Die Surrealisten, zu denen Duchamp nicht gehörte, hatten ein Feld geöffnet und fruchtbar gemacht; in der Kunst hatten es die Manieristen vorbereitet und die Kubisten mit der Auflösung und Zersplitterung gewohnter Formen.
Duchamp beschäftigte sich nicht vorab mit objets trouves, sondern war mit dem Suchen ungewöhnlicher Darstellungsweisen und im Aufbrechen der 4ten Dimension beschäftigt.
Frech ein Pissoir (und etwas weniger frech unter einem Pseudonym) in einen Kunstraum zu stellen: pure Subversion, pure Kopfarbeit (Miteinläuten der Konzeptkunst). Alles ist möglich, wenn man es macht. Das hatte Folgen. John Cage hat es auch in der Musik gezeigt.
Mich beschäftigen u.a. Objekte suchen und Objekte einsetzen, ob in Zeichnungen, Bildern, Figuren, oder Gefundenem, wenn sie das zeigen, was ich zeigen möchte. Bildende Künstler sind Spieler. Wieso soll das Pissoir keine Nachkommen haben.
In einem Raum stehen die Schüssel , und aus ihrem Inneren kommen Worte, Sätze, Geräusche (nicht die gewohnten) und Musikfetzen, Ausschnitte aus Demonstrationen. Sie legen über den Raum einen Teppich aus Worten, Musik und Geräuschen.
Die Plazierung der Schüsseln erfolgt ovalförmig.
Zur Musik, dem Gesprochenen und den Stadtgeräuschen: auf der beiliegende Kassette spielt Hans Koch(CH) am Saxophon; Text und Sprecher © Urs Jaeggi / Website: Universes in Universe. Die Aufnahmen entstand im Studio der Akademie der Künste Berlin und in meinem damaligen Atelier; die Stadtgeräusche sind überwiegend in Mexiko-Stadt aufgenommen; z.T stammen sie aus einer Geräuschkulisse in einer Performance in der Austellung Evidencia in Venedig im Rahmen der Biennale 2001.
Es ist dabei nichts mehr neues, dass Bild, Wort und Ton zusammenfinden; die Möglichkeiten sind, wie bei modernen Klangfiguren, unbegrenzt. Die Bühne praktiziert das Zusammenspiel der Künste nicht nur wie seit langem als Opern, sondern immer mehr auch in Schauspielen und Bildern. Die Kunst ist dabei, besonders in Installationen und Videos, auch hier Bild, Ton und Sprache zusammen zu bringen.
Zerbrochene Fenster und Klosettschüsseln: warum verkoppeln? Beide Projekte arbeiten mit Alltagsprodukten und zeigen: Veränderungen sind machbar, notwendig. Kunst kann das vermitteln, nicht einfach, aber es geht. Zerbrochene Fenster kommen auf den Abfall oder werden repariert, das Glas wird ersetzt oder notdürftig geflickt.
Bei grenzüber werden die Kloschüsseln als Objekte eingesetzt: was wird, wenn die Töne und Geräusche nicht von Benutzern kommen, sondern aus dem Innern der Kloschüsseln, quasi als Aufstand gegen die ihnen zugedachte Rolle, Kot und Urin aufzunehmen und weiterzuleiten. An ihrer Stelle: Poetisches, Agitatorisches, Schrilles und Stille.
Auch hier, wie bei den broken windows, ein Rollentausch. Im broken-window Fall ist es eine Versuchsanordnung, um das gesellschaftliche Desaster zu zeigen. Man könnte statistisches Material beifügen, um die Grösse des Desasters zu zeigen. Man kann aber die zerbrochenen Scheiben auch für sich sprechen lassen. Der Zuschauer macht sich seine eigenen Gedanken und Bilder, von Scherben bringen Glück bis zur Erinnerungen an Zerstörung durch den Menschen (Kriege, Vandalismus, Unwetterkatastrophen, Armut).
“Von Tag zu Tag wird klarer, dass das von der westlichen Zivilisation errichtete Gebäude für uns ein Gefängnis, ein blutiges Labyrinth, ein kollektives Schlachthaus geworden ist.“ (Octavio Paz)
Gibt in der Kunst Bilder, die das Polarisieren unserer Gesellschaften festhalten, und etwas darstellen, das gleichzeitig Wut ausdrückt und Mut macht?
Ich versuche es, immer wieder. Die zerbrochenen Fenster: aus-druckstark, interpretationsoffen. Die Klos: Was sie ausspucken: Hartes und Leises, chaotisch Quirliges, Agressives und Stilles.
Die Säle 1,3, und 4 gruppieren sich um die beiden Installationen.
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