home  

zurück
Adolf Muschg, Einführung


"sehen und denken". Der Ort unter der Treppe. Oben die Treppenrede. Unten die Gegenrede, das Gegenschweigen. Die Geschichte von Alexis
Der Ort der Kunst ist unter der Treppe.
Die Eröffnung einer Ausstellung ist ein Ritual, in dem wir beide zusammentreffen. Ich nehme das Zusammentreffen persönlich.
Ein Ritual ist etwas Kostbares. Es ist der Stoff für ein Kunstwerk Hier und Jetzt. Dafür sind Verabredungen nötig, ein Drehbuch, Konventionen, Programme. Anzeigen. Dafür ist vielleicht auch eine Rede nötig.
Aber diese Rede, finde ich, muß von diesem Hier und Jetzt handeln und sich der Kostbarkeit des Stoffes bewußt sein. Die Präsenz des Künstlers Urs Jaeggi, die Anwesenheit seiner Arbeit. Wovon handelt sie? Von Anwesenheit unter allen Umständen, auch bedenklichen, fragwürdigen, qualvollen. Die Eröffnung einer Ausstellung ist etwas Bedenkliches, wenn sie vom Ritual nicht den Gebrauch des scheinbaren Gegenteils macht: des AUFRUHRS.
Ich nehme als Redner an diesem Ritual teil, nicht indem ich dich, den Künstler, nachzuzeichnen versuche, sondern indem ich davon erzähle, wo du mich aufgerührt hast.

Wir sind drei Jahre auseinander, aber wir kommen aus derselben Topographie, und teilen uns in eine vergleichbare Lebensgeschichte. Wir sind - um in mich in einer deiner Sprachen auszudrücken: ähnlich sozialisiert. Natürlich steckt schon im Analogen das Unvergleichbare, und doch: wir hatten, für die Küche unserer Lebens, ähnliche Zutaten. Kleinbürgerliches Milieu: sozialdemokratisch bei dir, bei mir stockreformiert. Den Vater früh verloren. Bei dir war es ein generöser Vater und eine herzhafte Mutter, da ist ein Unterschied: dir war es nicht ganz unerlaubt, dich zu versuchen, etwas ganz anderes zu kochen. Bei mir war die Versuchung, wie der Name sagt, des Teufels. Aber trotz dieser Differenz: wir waren beide Autodidakten. Wir mußten uns neu erfinden - du durftest es auch noch. Du hast etwas ausprobiert, den Mut gehabt zu Versuch und Irrtum; dieser Mut war klein bei mir, die Angst davor gut getarnt hinter Gutsein und immer Besserwerden. Auf meine Fasson, hoffte ich doch sehr - aber eigentlich stammten die Modelle dafür nicht aus mir selbst, sondern aus der Phantasie, soll heißen: der Phantasie, zu den Erwählten zu gehören.

Wer solche Phantasien hat, muß nicht nur viel aus sich machen; er läßt auch viel mit sich machen. Offizier der Schweizer Armee - das, Urs, hast du zu werden nicht nötig gehabt. Darüber haben wir am letzten 1. August auf der Schweizer Botschaft gesprochen, am Nationalfeiertag, beim Armbrustschießen: immerhin. Auch du hast getroffen. Und warst von einer wunderbaren Langmut beim Stehen in der Schlange, bis wir zum Schuß kamen. Mir ist geblieben, wie du, der erklärte Pazifist, beim Schießen ausgesehen hast - unbegrenzt fehlerfreundlich, ein Mensch, der darüber hinaus war, sich zu blamieren, ein wunderbarer Clown in eigener Sache. Da sah ich Urs Jaeggi als Wilhelm Tell: so spielt ein freier Mensch.

Was immer du anfaßt: du hast anrühren gelernt. Anrühren oder Aufruhr: wir reden von der gleichen Musik. Nur daß sie einmal schmetternd gespielt wird, das andere Mal leise. Über das Schmettern bist du hinaus.

Wir sind beide Professor geworden. Der kleine Unterschied: du bist es nicht 30 Jahre geblieben. Wir sind beide Schriftsteller geworden. Du bist es geblieben - aber nicht, wie ich, als Gratwanderer. Ich glaube, es hätte dich angeödet, deine Doppelexistenz ein Leben lang zu rechtfertigen. Noch lieber bist du abgestürzt, aber nicht zu Tode - in ein anderes Leben. Statt auf dem Grat des Berges zu balancieren, hast du dich fallen lassen, und wo es dich hin verschlug, hast du etwas gesehen und gedacht. Nein: du hast etwas g e m a c h t, scheinbar unbekümmert, wohin es dich führte. Du hast vom Berg, an dem wir sind - kennen Sie die Redensart: am Berg sein? es ist die volkstümliche Version des Existentialismus, der uns beide erzogen hat - du hast von diesem Berg mehr erkundet, als man von seiner Höhe aus sieht. Du hast ihn als Leib erfahren, Höhlen und Schluchten, Fauna und Flora, den Stein auf dem Weg: du konntest über keinen stolpern, ohne ihn aufzuheben, und dann erzählte er dir mehr vom Berg, als man auf seiner sogenannten Höhe erfährt. Daraus machtest du dir etwas. Du warst nicht nur geworfen, wie es in unserer existentialistischen Bibel stand, du konntest dich fallen lassen, du konntest nicht nur machen, du konntest es auch lassen.
Darum habe ich dich beneidet.
Denn du hast herausgefunden, daß es an diesem Berg keine gleichgültige Stelle gibt, keine uninteressante, und keine, die nicht darauf gewartet hat, zu dir zu sprechen, das heißt: unter deiner Hand sprechend zu werden, und noch mehr: deiner Hand zu zeigen, wozu sie geschaffen ist: zu greifen, was ist. Dafür muß sie nicht wissen, was ist, und noch weniger muß sie es deuten. Was sie begreift, hat etwas zu bedeuten. Wir spüren es daran, daß uns anrührt, was sie schafft, die zum Schaffen geschaffene Hand.
Ich erinnere mich an zwei Geschichten mit dir; die eine erzähle ich dir zum ersten Mal. Als ich hörte, du seist in Berlin mit 50 Jahren zum bildenden Künstler geworden - du warst 51, bei deiner ersten Ausstellung, nicht wahr? - dachte ich: mußte das sein? Und ganz im Stillen ertappte ich mich bei einem bösen Wunsch: es möge dir nicht gelingen. Woher dieser gut neidgenössische Wunsch? Ich verbot dir innerlich, so frei zu sein von der Schriftstellerei, wie du dich zeigtest - denn ich empfand nur zu gut: diese Freiheit hatte ich nicht. Nein, nicht die Hochschule war es, die sie mir genommen hatte, es war der Habitus der Lebensangst, aus der ich nur als Schriftsteller das Beste - das mir erreichbare Beste - zu machen wußte. Also: warum sollte es dir gelingen? Ich war nur zu bereit, deinen neuen Selbstversuch, den Absturz in ein sinnliches Medium, in die Gesellschaft selbstgeschaffener Objekte der Passion, als Dilettantismus zu verdächtigen. Und das war es ja auch, denn Dilettare kommt von Lieben, und Liebe heißt: Passion.

Ja, das neidete ich dir rechtschaffen. Ich hatte mich doch - wenige Jahre zuvor, war es 1981? - als Juror in Klagenfurt so herzhaft bemüht, nicht nur dich für die Literatur zu retten, sondern in deiner Literatur die verratene Revolution. Es war eine gemeinsame Demonstration der Linken in der Jury - Walter Jens gehörte dazu - für eine engagierte Literatur, und das hieß damals: gegen Reich-Ranicki. Das Ächzen und Stöhnen, mit dem er die Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises an Urs Jaeggi begleitete, war er letzte Sieg des Mai 1968. Wir haben dich mißbraucht, lieber Urs, denn schon dein Text damals war weiter, viel weiter - über die Revolution hinaus? Nein, auch über die Enttäuschung über ihr Fehlschlagen hinaus: du hast beides mitgenommen, und hast den Lärm über beides verklingen lassen, damit die Revolution dort wieder anfängt, wovon jede ausgeht: bei uns selbst; jenem Selbst, von dem wir noch nichts wissen. Noch nicht, soll heißen: es will erst erfahren sein. Und das Organ dafür sind unsere Eingeweide, die nicht glauben, die fühlen müssen, wo und wie wir dran sind in der Welt. Wenn wir Glück haben, melden es ihnen die Fingerspitzen, aber es ist normal, kein Glück zu haben – dann muß es eine Wunde tun; in jedem Fall bleibt die Meldung lange stumm für unser Gehirn und unsere Reflexion. Was unsere Hände machen, sagt uns genauer - nur eben: wortlos - woran wir sind.

Daß das Schaffen dem Denken, aber auch dem Wissen, und dem Sehen? vielleicht auch dem Sehen eine entscheidende Spur voraus sei, ist die Grundlage der Kunst. Der Mensch ist kein erforschtes Wesen; um zu ahnen, was mit ihm los ist, muß er lesen lernen, was er macht, und das gilt für den Macher, den Poietes, als erster. Den Dingen, den Mitmenschen zugewandt, geht er mit dem Rücken voran bisher unbekannte Wege der Hoffnung. Zeigen könnte er sie nicht - er ist kein Wegweiser - aber gehen kann er sie. Ihre Spur liegt in seiner Arbeit vor aller Augen, und an diesen Spuren lesen auch die andern, was dann keines Glaubens mehr bedarf: es ist mit Händen zu greifen, wie von Nikodemus der Leib seines Herrn.

Wenn man dich nicht salopp ein "Multitalent" nennt, heißt es wenigstens, du seist in Grenzüberschreiter; damit glaubt man dich zu loben. Ja: einem, dem der Geist - das Unbehagen, oder die Abenteuerlust - sagt, jetzt könne er einen bestimmten Weg nicht weitergehen, dem mag der erste Schritt eines neuen wohl wie eine Grenzüberschreitung vorkommen - und seiner Umgebung, der wohlwollenden oder mißtrauischen, erst recht. Aber eigentlich waren doch die Grenzen, die Urs Jaeggi in der Kunst überschritten hat, nie seine eigenen. Es waren vorfabrizierte Grenzen, diejenigen einer wissenschaftlichen Zunft, oder einer gesellschaftlichen Erwartung, oder einer Karriere-Perspektive: Schranken also, die Jaeggi nie übermäßig gekümmert haben. Er war so frei, seinen Weg zu gehen und sich dabei von jenem Organ - wir wollen es nicht voreilig "Bauch" nennen - leiten zu lassen, das fähig, bereit und mutig genug dazu ist, Erfahrungen im vollen Sinn des Wortes zu machen, und der Erfahrung eher zu gehorchen als einem Szenario. Es kümmert sich auch um Prinzipien und Schulmeinungen nicht, wenn sie nicht von der Praxis - einer Praxis, zu der es die Theorie immer erst hinterher gibt - beglaubigt werden. Jaeggi hat nicht aufgehört, Schriftsteller zu sein, als das Schreiben hinter das Malen und Bilden zurücktrat und damit ein ältere Disposition wieder ihr Recht verlangte. Er hat als Schriftsteller und bildender Künstler nicht einmal aufgehört, praktizierender Soziologe zu sein, nur daß er seine Feldforschung nun in einem andern Milieu als dem akademischen weitertreibt. Es geht ihm um die Einheit der Materie, genannt Existenz, mit welcher es der Mensch zu schaffen hat, und die ihm darum auch zu schaffen macht und zu schaffen gibt.

Das Leben, dieses prekäre, delikate, endliche, eigene, aber nie bloß wie ein Eigentum zu behandelnde Leben ist die Schöpfungssprache, die uns zugewandt ist. Und die Kunst, jede Kunst, ist der Versuch, diese Sprache zu entziffern und für unsern existentiellen Gebrauch zu verstehen, wie sie ihr Autor - welchen Namen wir ihm immer geben - gemeint haben könnte. Von diesem Potentialis - areligiöse Menschen würden von Irrealis reden - macht die Kunst auf ihre Art Gebrauch. Sie ist eine zweite Schöpfung in der Möglichkeitsform; in welchem Stoff sie sich ausdrückt, mag eine Sorge der Fakultäten oder der philosophischen Ästhetik bleiben, die Sorge der Kunst ist es nicht, und - ich füge es ein wenig schuldbewußt hinzu - auch die Sorge der Akademie brauchte es nicht zu sein; sie war einmal auf das Ganze der Kunst gegründet. Ob Urs Jaeggi Bilder dichtet, oder in Prosa malt, oder in Plastiken reflektiert: in jedem Stoff versucht er sich selbst, in der u-topischen Hoffnung, daß wir, wenn dieses immer unbekannte Selbst sprechend wird, es nicht nur für sich selbst, sondern auch vom andern, vielleicht vom Ganz Anderen spricht, das - oder der, oder die - nach der biblischen Verheißung im Menschen sein eigenes Bild geschaffen hat und der unerschrockenen, der wagenden Mitspieler bedarf, um etwas davon zu verraten. Diese Mitspieler sind die Künstler, die für die Kunst ihre Existenz einsetzen - und wenn ich Existenz sage, erinnere ich mich an die Etymologie des Wortes: Hinausragen, Vorstehen wie ein blutiger Daumen, oder ein Nagel im Holz.

Und dabei fällt mir der "Stachel in der Seele" ein, der gewissermaßen zum Erreger des bildenden Künstlers Urs Jaeggi geworden ist. Dieser Nagel ist in der christlichen Ikonographie ein Folterinstrument der Passion; er hat bei Urs Jaeggi sein literarisches Gegenstück im "Soulthorne"-Roman, denn auch Solothurn läßt sich als Seelenstachel lesen: die Nabelschnur, die uns ernährt, als Dorn im Fleisch. "Heicho", heimkommen ist auch Strafarbeit, die Beschriftung des Fleisches ein Stück Todesurteil, wie in Kafkas "Strafkolonie". Aber ohne Anrührung durch die äußerste Fremde lebt die Kunst nicht, und ihre Grundfigur, der Nostos - die Heimkehr zu sich selbst - ist von der Bereitschaft zum Selbstverlust nicht zu trennen: wo Odysseus unser aller Reisegefährte wird, heißt er "Utis", Niemand.

Urs Jäggi ist einer der anspruchsvollsten Künstler, die ich kenne, und einer der bescheidensten. Seinem Stück-Werk ist anzumerken, daß sein Schöpfer darin aufs Ganze ging, kein enzyklopädisches Ganzes, ein exemplarisches. Jenes Selbst, das nie nur sich selbst sein kann, sonst - so Kierkegaard - verzweifelt es. Deine Stücke - erlaube mir, deine Produktion, die literarische, geformte, gebildete, unter diesem Begriff zu fassen – dein Stück-Werk eines Ganzen sind Werk-Stücke in Möglichkeitsform, die uns als Einzelne, vereinzelte anrühren, weil ihnen auch die Unmöglichkeitsform eingeschrieben ist, wenn ich recht sehe: in zunehmend gelassener Schrift.

Nehmen wir die Gegentreppe, die du unter die Treppe der Akademie gebaut hast, und die sich an ihr so ruhig den Kopf einrennt - aber in Wahrheit zeigt sie doch die obere Treppe, die zum Weitergehen, Weitersteigen gebaut ist, als Brett vor dem Kopf. Die Möglichkeit deiner Gegen- und Untertreppe zeigt die Unmöglichkeit der korrekt konstruierten; zeigt sie zum Lachen deutlich, aber sie denunziert sie nicht. Auf dieser Treppe habe ich vor ein paar Tagen meine Treppenrede gehalten, dieser typischen Aufsteigertreppe, dem Bauelement für Gratwanderer; die Botschaften, die auf dieser Treppe verkündet werden, lauten, ins Kirchen- oder Politikerlatein übersetzt immer wieder etwa wie "Sursum corda" - erhebt die Herzen - oder "plus ultra" - das war der Wahlspruch Kaiser Karls V - Richtung Non plus ultra. Es ist schon viel, aber es liegt immer drin, wenn sich die Rednerzunge vor Tönen wie: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“ hütet. Die Spur solcher Treppen ist im Neubau am Pariser Platz konserviert, die sogenannte Luftspur jener Führertreppe, auf welcher der Mann mit dem Lippenbart durch die Ministergärten herüberschlich und zur Besichtigung seiner judenfreien Welthauptstadt Germania schritt, nachdem er zuvor die Akademie aus dem Haus ausquartiert hatte. Solche Treppen, das muß man wissen, sind das Ende der Akademie; jetzt sind sie als Schrift an der Wand - wehret den Anfängen! - am Pariser Platz gerade noch zu erkennen. Vestigia terrent, aber ich sage euch, liebe Kunstverschworene, jeder, der eine solche Aufsteigertreppe betritt, auch ein Präsident der Akademie, ist ein gefährliches Stück weit zu jenem Aufstieg unterwegs, der erwiesenermaßen in die Hölle führt. Ich weiß, wenn ich meine Treppenrede halte, daß sie - auch in der heitersten Form - eine Gratwanderung ist; ich habe mich, durch meine Biographie, zu solchen Gratwanderungen verurteilt und geschickt gemacht, darum muß der kleine Machtverwalter in diesem Hause wissen - auch wenn er eigentlich nur Ohnmacht zu verwalten hat -, daß er eine Gefahr für den Sinn des Hauses ist, das er liebt, für seine Zweckfreiheit, seinen Dienst an der Möglichkeitsform.

Ich sehe den Sinn meines Amtes darin, dem Zweck- und Zielbau der Treppe jene Gegentreppe zu empfehlen, die nirgendhin führen muß und darf; also genau die Treppe, die Urs Jaeggi - mit Hilfe des tüchtigen Handwerks dieses Hauses - hier gebaut hat. Der Präsident kann sie postulieren, beschwören, ermöglichen - bauen kann er sie nicht; das kann nur der Künstler. Hier steht sie, sie ist gebaut, als verirrter Eckstein der Akademie, als gelassener, närrischer, unentbehrlicher Gegenentwurf all jener Akademieveranstaltungen, die, auch wenn sie gut sind, dem Fluch jenes "gut gemeint" nicht entgehen, das das Gegenteil von Kunst ist; oder nicht mal das Gegenteil: denn Kunst wird nie gemeint, Kunst wird gemacht. Und dieses Haus ist dafür da, daß sie gemacht werden kann.

Also: der Präsident auf der Treppe benützt das Ritual einer Einweihung oder Vernissage am besten dazu, dem Künstler brüderlich zu danken, der ihm unter die Treppe eine gebaut hat, die nicht zu brauchen, auch nicht nur zu sehen ist: sie macht die Treppe, jede Treppe SICHTBAR, als Klettergerüst, als Hühnertreppe, als Aufstiegskrücke. Sie, die weiße, unbrauchbare, die nicht weiter führt als bis an die Wand, die Hinterwand der Obertreppe, sie ist der wahre Gradus ad Parnassum,. Hier stehen wir an der Quelle der Akademie, denn wir stehen am Berg, so wie das Heiligtum von Delphi am Berg steht: "sehen" heißt hier: das Sichtbargemachte sehen, und "denken" heißt: das Orakel gut lesen. Die Treppe ist das Werk eines Künstlers, der nicht einmal zur Akademie gehört - was man auch als Skandal sehen kann, die Akademie hat kein Alibi dafür, daß sie Künstler, die sich um akademische Kunst-Grenzen so wenig kümmern wie die Kunst selbst es tut, nicht unterbringen kann. Aber so sei es nun: die Kunst hat nicht nötig, das Ungehörige unterzubringen, denn es sitzt in ihrem Zentrum, gefragt oder nicht, wie der Bettler Alexis unter der Treppe. Hier sitzt die Heiligkeit der Hauses, und natürlich weiß sie nichts von sich selbst. Wir sind stolz, diesem um nichts bettelnden Bettler Alexis das Almosen dieser Ausstellung zu reichen, die Wohltat einer Vernissage, die Gnade eines Termins – aber, liebe Freunde: niemand weiß besser als der Präsident dieses Hauses, daß es nicht für die gebaute Treppe gebaut wurde, sondern für die spielende.

Also sehen wir es, und denken wir daran. Und da denken dieselbe Wurzel hat wie danken: ich danke dir, lieber Bruder aus Soulthorn, daß deine Treppe uns zeigt, wo die Kunst herkommt und wo sie hingeht, und ich danke dir persönlich, daß du dein Leben darauf verwendet hast, diese Treppe zu bauen.
zurück zu

zurücktexte

zurückausstellung
zurück

©  Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe  &  María Linares