7. Biennale Havanna -  Home November 2000 - Januar 2001Home
Rafael Lozano-Hemmer - Interview und Details
+ zoom in. Rafael Lozano-Hemmer (beim Aufbau der Installation) Zoom und Übersetzung der Fragen: Klick auf Bilder
Interview von Pat Binder und Gerhard Haupt

Warum hast du entschieden, diese Arbeit in Havanna zu zeigen, und wie funktioniert sie?

In den letzten vier bis fünf Jahren habe ich interaktive Installationen in öffentlichen Räumen gemacht. Diese Art von Projekten, die ich "relationale Architektur" nenne, impliziert normalerweise die Transformation emblematischer Gebäude durch die Nutzung neuer Technologien, z.B. durch Projektionen, Sound, 3D-Sensoren, Robotik. Die Kuratoren der Biennale hatten in Videodokumentationen etwas von meinem Schaffen gesehen und schlugen mir vor, eine Arbeit in den Straßen zu machen, eine Art urbanes Transformationsprojekt, wie das, was ich in Mexiko-Stadt zum Millenium realisiert habe. Obwohl es mir große Freude bereitet hätte, ein solch ambitioniertes Projekt zu präsentieren, wusste ich aber auch, dass es äußerst kostspielig gewesen wäre. Aus diesem Grunde habe ich eine sehr kleine und intime Arbeit entwickelt, eine die relativ gut zu transportieren ist, so dass ich sie leicht herbringen konnte.

Ich wollte eine Technologie nutzen, die einen allgegenwärtigen, "anti-monumentalen" Charakter hat, deshalb brachte ich 21 ganz kleine Flüssigkristalldisplays (LCD Screens) mit und befestigte sie an den Säulen im Hof des Zentrums Wifredo Lam. Der Schriftsteller Alejo Carpentier sagte, Havanna sei die Stadt der Säulen, und mich interessierte der Gedanke, mit diesem Architekturelement zu arbeiten. Die Displays sind mit einem Laptop verbunden, auf dem ein maßgefertigtes grammatikalisches Softwareprogramm läuft. Im Grunde ist es ein Algorithmus, der über einen Zufallsgenerator auf ein Wörterbuch zugreift, um neue Sätze zu bilden. Das Programm kann Verben konjugieren und Adverbien, Adjektive, Artikel usw. hinzufügen. Auf Grund der Anzahl der Wörter in der Datenbank kann es gegenwärtig 16 Milliarden verschiedene Fragen generieren, die einzigartig und grammatikalisch korrekt sind. Wenn du dir einige der Fragen anschaust, merkst du, dass sie total absurd sind, wie etwa: "Cuándo sangrarás de forma ordenada" (Wann wirst du auf ordentliche Weise bluten?). Und dann gibt es aber auch welche, die interpretiert werden können, als wenn sie einen gewissen Sinn hätten, wie: "Porqué nos siguen sobornando los artistas?" (Warum fahren die Künstler darin fort, uns zu bestechen?)

Die Installation zeigt 33 Fragen pro Minute, was hinsichtlich der Geschwindigkeit die Grenze des Lesbaren ist, und ruft eine irritierte Erfahrung hervor, denn es bleibt keine Zeit für die Reflexion, eben so, wie in unserer gegenwärtigen Medienkultur. Diese Irritation wird dadurch gesteigert, dass das Display jedes Mal piept, wenn eine neue Frage erscheint. Die kubanische Künstlerin Glenda León meinte, die Installation würde wie der Countdown einer Bombe klingen, was eine Interpretation ist, die mir sehr gut gefällt.
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Wie soll die Interaktion der Leute funktionieren?

Es gibt eine Tastatur, die von den Leuten benutzt werden kann, um ihre eigenen Kommentare und Fragen hinzuzufügen und damit die automatische Abfolge der Fragen zu unterbrechen.

Aber würde meine Frage dann eine derjenigen des automatischen Ablaufs sein, die einen Sinn ergeben können, oder würde sie vom Programm zerstückelt werden?

Nein, sie wird genau so erscheinen, wie du sie eingetippt hast, aber innerhalb des Ablaufs der anderen Fragen. Wenn du etwas geschrieben hast, das einen Sinn ergibt, dann wird es diesen auch für andere Leute haben. Aber auch die meisten von der Maschine gestellten Fragen ergeben auf die eine oder andere Weise einen Sinn. Deshalb ist ein interessanter Effekt, den ich durch die Geschwindigkeit der erscheinenden Fragen erreichen wollte, die Möglichkeit der Tarnung. Wenn die Leute etwas schreiben, das störend oder tabu ist oder irgend etwas, das als problematisch empfunden werden könnte, kann das zwischen all den automatischen Fragen versteckt werden. Das Verbergen geschieht, weil unmöglich zu bestimmen ist, welches die von Personen und welches die vom Computer gestellten Fragen sind. Es ist wie ein umgekehrter Turing-Test.

Mich interessiert diese Form der Ent-Urheberschaft der Wörter als Phänomen. Ursprünglich wollte ich die Leute in der Weise einbeziehen, dass ihre Eingabe nicht nur auf den Displays, sondern auch im Internet in Real Time zu sehen wäre. Leider war eine Internetverbindung nicht möglich. So nimmt das System alles auf, was die Leute schreiben, und wenn ich die Installation zurückbekomme, werde ich alle Texte ins Internet stellen. Natürlich wissen diejenigen, die mitmachen, dass ihre Kommentare im Internet veröffentlicht werden, und ich bin sehr gespannt, in welchem Grade das, was sie sagen, davon beeinflusst ist, immerhin befinden wir uns hier in einem Land ohne öffentlichen Zugang zum Internet... Ich habe schon einige solcher Fragen gesehen, sie sind sehr interessant und exzentrisch.

Und ich denke, ich werde mit dieser Art von Werken über automatische Texte weitermachen, weil sie - wie ich schon sagte - unsere Erwartungen an die Technologie in Frage stellen. Einige der Leute, die ich hier in Kuba kennenlernte, haben gut begründete Sorgen, dass sie nicht genügend Informationen bekommen, was sich hoffentlich ändern wird. Allerdings glaube ich, wir in den westlichen Ländern sind an einem Grad des Überflusses und der Dichte von Informationen angekommen, an dem sie unnütz werden.

Gibt es eine persönliche Geschichte hinter dieser Arbeit?

Ja, obgleich ich keinesfalls den Eindruck erwecken möchte, als wenn die Arbeit das natürliche Resultat dieser persönlichen Anekdote wäre, aber sie hat mich schon stark berührt.

Mein Vater, ein Kettenraucher, bekam plötzlich Lungenkrebs. Man sagte mir, er hätte nur noch zwei Wochen zu leben. Als ich in Mexiko ankam, lag er auf der Intensivstation und war schon an ein Lebenserhaltungssystem angeschlossen. Ich habe meinen Vater nicht wirklich gekannt - meine Eltern ließen sich scheiden, als ich noch sehr klein war -, und ich wollte ihn so vieles fragen. Unglücklicherweise konnte er wegen des Beatmungsschlauchs, der aus seinem Mund kam, nicht sprechen, und zum Schreiben war er zu erschöpft. Deshalb habe ich eine kleine Tafel mit dem Alphabet gemacht, damit er nur auf die Buchstaben zu zeigen braucht und Wörter zusammenstellt, um sich mir auf diese Weise mitzuteilen. Aber das dauerte sehr lange, und ich musste eine andere Tafel machen, nun aber mit Wörtern, Subjekten, Substantiven. Jetzt stellten sich mir jedoch einige Fragen: Wer sollte diese Wörter auswählen? Wer soll der Autor dieser Text-Marionette sein? Soll ich solche Wörter wie "Tod" einbeziehen? Soll ich Wörter wie "Angst" aufnehmen? Wie besessen wählte ich Wörter aus, und schließlich präsentierte ich meinem Vater die neue Version der Tafel. Nun gut, ich lag total daneben. Das Wort, das er tatsächlich im Kopf hatte, war "Sex". Er saß da wochenlang in einem Raum mit 30 Personen und hätte sich doch am liebsten an die Krankenschwester herangemacht. Das wäre mir angesichts seiner Lage nie eingefallen! Ich hatte meine eigene Agenda von dem, was er wollen oder sagen könnte, aber sein tatsächlicher Wunsch wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Es ist interessant, wie falsch wir mit unseren Vermutungen liegen können. Jetzt interessiert mich der Raum, den es zu unterminieren gilt, der Raum, um anzuerkennen, dass jede Art von Vorschlag immer Platz für eine mögliche Übertretung bieten sollte.

Warst du damals schon dabei, die Software zu entwickeln?

Nein, was ich erzählt habe, geschah vor sechs Jahren. Die Arbeit an der Software für das Kombinieren der Wörter begann erst vor ungefähr einem Jahr. Aber sie hat damit zu tun, denke ich. Ich bin davon überzeugt, dass es eine gewisse Willkürlichkeit in den Wörtern gibt. Und ich bin mit der Beobachtung einverstanden, dass Wörter und Bedeutungen nicht notwendigerweise verknüpft sein müssen; man kann sagen, sie verschwimmen irgendwie. Was diese Verbindung real werden lässt, das ist der Körper. Was sie real macht, sind das Leben und der Tod.

© Interview, Übersetzung, Fotos:
Gerhard Haupt & Pat Binder,
Universes in Universe
Lozano-Hemmer - 1 Rundgang

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